"Minimum quod potest haberi de cognitione rerum altissimarum, desiderabilius est quam certissima cognitio, quae habetur de minimis rebus."

"Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge zu gewinnen vermag, ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen"

(Thomas von Aquin: I, 1, 5 ad 1)

26. August 2015

Jenseits von Angebot und Nachfrage - W. Röpke


Was nun sind die Fehlentwicklungen in unserem Denken, die Röpke sieht? Er fährt eine schier erschlagende Liste von fatalen „-ismen“ auf. Da wäre zum Beispiel der Utilitarismus („Kult der Nützlichkeit“, 150), der Rationalismus (wir bilden uns ein, mit unseren geistigen Kräften alles planen zu können), der Konstruktivismus (wir unterschätzen die Kraft der spontanen Ordnung), der Dirigismus (wir wollen alles steuern), der Progressismus (wir vertrauen blind auf den Fortschritt), Relativismus (wir haben keine absoluten Werte, an die wir glauben), der Historismus (wir erklären uns alles aus dem jeweiligen Zusammenhang und lösen somit „alles in Wandlung und Entwicklung auf“ (27), statt nach Grundsätzlichem zu fragen), der Soziologismus (wir typisieren, kategorisieren, schubladisieren die Menschheit, statt danach zu streben, den strukturellen Wandel zu verstehen), der Modernismus („wir vergewaltigen auf Schritt und Tritt die Natur“, 110), der Individualismus im Sinne der Vereinsamung des Menschen, der Kollektivismus („der einzelne gilt immer weniger, Masse und Kollektiv immer mehr“, 32), der Kommunismus (eine „Vergewaltigung der Seele des Menschen“, 29), der Etatismus („Die Macht des Staates wächst ungebändigt weiter“2). Die Liste lässt sich verlängern.

Die Klammer um alle Begriffe sind Ökonomismus und Säkularismus. 
 Ökonomismus bezeichnet bei Röpke eine Geisteshaltung, die alle Lebensbereiche wirtschaftlichen Kriterien unterwirft – wobei es auf bemerkenswerte Weise Röpkes Zeit entspricht, wie er mühelos zu erkennen, dass das Urheberrecht auf eine solche moralische Fehlentwicklung der Gesellschaft nicht allein der Kapitalismus erheben darf, wie man heute zu glauben scheint, sondern in noch deutlich stärkerer Weise der Sozialismus. Die kulturelle Kehrseite des Ökonomismus, den Röpke konstatiert, ist der Säkularismus: „die erschreckende Entchristlichung und irreligiöse Säkularisierung unserer Kultur“ (21), also die abnehmende Religiosität der Menschen; das Absterben der Beziehung des einzelnen zu Gott; das Versiegen des Strebens nach Transzendenz; die geistige Verarmung der Menschheit und der Verlust christlicher Werte.

23. August 2015

Wie die klugen Jungfrauen

Ich muß mir ein Leben lang klar geworden sein, worum es sich eigentlich dreht. Und diese Frage beinhaltet selbst wieder zwei Teilfragen: Einmal das Gestelltsein vor das Gericht und zweitens das Bewußtsein, wie ich diesem Gericht gegenüberstehe. Die Lampe, sagt der Herr immer, soll brennen wie die der klugen Jungfrauen. Ich sagte heute schon, es ist etwas Merkwürdiges um diese primitive Formulierung des göttlichen Heilandes. Vergleichen Sie einmal doktrinär einen Matthäus mit einem Plato oder einem Plotin. Wie schlicht ist Matthäus, für viele zu schlicht. Warum? Weil sie weder die Gabe haben, noch sich gemüht haben, dahinter zu kommen.

Magdeburger Dom: Kluge Jungfrauen

 Wie leicht hört sich das an, daß die Lampe brennen muß. Wie oft habe ich das gehört, so oft, daß ich es gar nicht mehr ernst nehme. Sie brennt dann in dem Augenblick, wenn ich mich nicht getäuscht habe, da ich mich gestellt sehe GOTT gegenüber. Oder, nüchtern gesagt, wenn die Seele leiblos sich sieht und sich leiblos erkennt. Wir mögen uns über das Christentum giften, so viel wir wollen, über den Augenblick kommen wir nicht hinweg, ich muß mich einmal leiblos tragen können. Da hört der Scherz auf, das ist die Sache.
Über die primitivsten Wahrheiten müssen wir sprechen, und das Grundsätzlichste, das Einfachste, das Simpelste, das so simpel ist, daß ich es jedem Kind sagen kann: Was werde ich tun, wenn ich den Leib nicht mehr rufen kann, wenn die Seele dasteht. Man denke das einmal philosophisch zu Ende, wenn es da kein Christentum gibt, das ist einfach nicht zu tragen. Daher alle diese Umwege über die Mythen.
Wenn Sie das denken, können Sie gar nicht anders als danken: Herr, Vergelt's GOTT, daß ich Christ geworden bin."
Und lasse alles was mich an dieser Kirche stört, dummes Zeug sein. Das, was mich stört, darum dreht es sich gar nicht. Es dreht sich nur um Leiblosigkeit, um die Seele, die hineinschreitet in die Ewigkeit.
Welche Vorstellungen Sie sich nun darüber gemacht haben, meines Erachtens ist hierbei Zweierlei erfordert: Sich gestellt wissen vor GOTT mitten im Leben. Wir nehmen immer dieses Evangelium so lange unernst, bis wir am Sterbebett liegen. Auf einmal steht die ganze Hoheit GOTTES da. Da gibt es überhaupt keinen Ausweg mehr, ich muß eben durch. GOTT hat es uns erleichtert, indem ER uns als Mensch entgegen gegangen ist. Die heilige Menschwerdung war der Zweck der Erlösung; aber, wie die Theologen sagen, es wäre mit einem Willensakt getan gewesen und ER hätte wieder in die Ewigkeit zurückkehren können, sich zurückziehen können in den Schoß des VATRES. Das wäre, weil es GOTTES SOHN war, der diesen Akt gesetzt hätte, von unendlichem Wert gewesen.
Warum ist ER Mensch geworden? Rein aus Liebe, um uns diesen Weg voranzugehen. Und ich versichere Sie, dieses ganze Leiden und Sterben des Herrn können Sie historisch so und so erklären. Da ist kein einziger Akt da, der nicht von apodiktischem Wert wäre, d.h., gebt acht, in irgend einer Weise geht Ihr den gleichen Weg. Es ist etwas namenlos Tragisches um diese Sorge des Heilandes.
Was ich immer sage, von hundert sind neunundneunzig da, die vom Christentum nicht überzeugt sind. Der Eine ist wahrhaft überzeugt. ER hat den Gedanken der Sorge vorne hingestellt. Das ist nichts anderes als: Mein GOTT, Mein VATER, warum hast DU Mich verlassen? [Mt 27, 46] Überlegen wir es einmal ernst, ganz ernst: Wie nahe stehen wir der Erlösung? 


VB 1960

17. August 2015

Staunen - Kind werden


Das, wie wir zu GOTT stehen sollen, ist eben wieder einfach die Lehrweise, die GÖTTliche Originalität CHRISTI! Wir wüßten es ja, wie wir zu GOTT stehen sollten. Uns sind manche Christliche Wahrheiten so gewohnt geworden, daß wir gewissen Begriffe nicht mehr ernst nehmen.

Den Begriff: "Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder" [Mt 18, 3] - da möchte ich nur einmal Testblätter austeilen, was stellst du dir darunter vor. "Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich eingehen." Da würden Vorstellungen herauskommen, wie wenn das Christentum ein großer Kindergarten wäre mit der Tante. Ist Ihnen das klar geworden: Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder? Wissen Sie, das ist die Genialität CHRISTI, alles auf so einfache Formeln zu bringen, daß sie nicht mehr deutbar sind für den, der nicht daraus lebt. Vielleicht sagen Sie auch, daß Sie wie Kinder werden müssen, sei ein alter Ladenhüter. Meinethalben! Ich komme immer mehr darauf, daß ich mit Absicht immer das gleiche rede. Es dreht sich nur um ein paar Begriffe, denn in diesem Bild "wenn ihr nicht werdet wie die Kinder" ist alles gesagt. Man kann sicher diesem Bild einen doppelten Sinn geben. Einen, der von der Bergpredigt herkommt, der andere aber ist fast noch abgründiger.

Was ist damit gesagt? Kind sein GOTT gegenüber? Das heißt zu tiefst nicht ein Geschöpf sein, sondern es bedeutet eine ganz bestimmte Fähigkeit, GOTT aufzufassen, eine ganz bestimmte Nuance des GOTTESbewußtseins, bedeutet also schließlich die Unmittelbarkeit des GOTTESerlebnisses. Warum sagt ER: Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder? Haben Sie sich schon gefragt am Schutzengelfest - das Evangelium von den Kindern, daß man sie nicht ärgern darf, weil ihre Engel das Angesicht des VATERS sehen [Mt 18, 10]. Braucht es da eine analoge Beziehung, warum gehören Kind und Engel zusammen?

Da stellt man sich vor, weil das Kind am meisten die Schutzengel braucht. Das ist wahr. Aber die gehören zusammen aus noch einem ganz anderen Grund. Sie gehören zusammen, weil sie beide die unreflektierte, unmittelbare, ja sozusagen unkritische GOTTESauffassung haben. Dabei möchte ich unkritisch nicht identifizieren mit ungeläutert - aber eine unmittelbare GOTTESauffassung ,in der Wissen und Glauben ineinander rinnen, weil das Kind eben das hat, was der alte Mensch nicht mehr hat, das Staunen. Wer sagt das? Niemand anderer als Plato und Aristoteles. Die zwei werden im Himmel ganz oben stehen, weil sie sich beide wund gesehnt haben nach GOTT. Uns wundert nichts mehr!

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 Hat sich heute eines darüber gewundert, daß wir kommunizieren konnten? Ist eines von uns vielleicht dermaßen erschlagen gewesen: Ich trau mich gar nicht hin, das ist ja GOTT! Hat eines von uns dieses Staunen gehabt? Und weil wir das nicht mehr haben, sehen wir gar nicht mehr, wie wir in unserer Seele von Wunder zu Wunder leben.

GOTT möchte ja in unsere Seele hinein, aber darauf käme es an, auf diese Unmittelbarkeit. Wir haben methodisch gelernt, den Anruf GOTTES, die Unmittelbarkeit GOTTES zu übersehen, darum erleben wir sie nicht mehr. Darum erleben wir auch nicht mehr die eklatanten Wunder in der Seele, daß GOTT plötzlich die Nebel zerreißt und ich schaue ... ach, wir sind nur selber schuld daran, an der Verflachung des Christentums. GOTT wartet andauernd! "ICH stehe andauernd vor der Seele und klopfe, aber sie ist zu hochmütig, sie läßt Mich nicht ein." [Offb 3, 20]

Habe ich einmal gelernt, auf GOTT hinzuhorchen, werde ich sehen, wie unmittelbar GOTT in die Seele hineinkommt. Dann hätte ich auch dieses namenlose Staunen, dieses Thaumatsein: Was, gibt es das auch? Gibt es das überhaupt? Wissen Sie, was muß das für ein GOTT sein! Ich begreife den philosophischen GOTT, ja! Ich begreife den GOTTESbeweis bis zu einem gewissen Grad, ja, aber ich begreife nicht einen GOTT, Der macht Geschöpfe und dann kümmert ER Sich so darum, daß ER sie erlöst mit Seinem Tode. Was muß das für ein GOTT sein!

Und dann will ER mich an Sich ziehen, daß ich IHN anschaue. Da werde ich doch gleich von Anfang an sagen : Herr, geh weg von mir, ich ich kann es nicht tragen. Ich kann es nicht, denn daß ich IHN anschaue, muß ER mich in Sich hineinheben. Ich verbrenne einfach sonst. Ist gar kein Zweife ! Was muß das für ein GOTT sein, der das Geschöpf erlöst! Was ist das für ein Rätsel?

Wir haben von GOTT und GOTTES Wesen auch nicht ein Tausendstel Prozent erkannt! Aber eines könnten wir haben und haben es nicht, dieses namenlose Verwundertsein und dieses namenlose Staunen. Statt dessen geben wir uns mit hochmütigen Gedanken ab, ob es einen GOTT gibt, ob ER gerecht ist usw. - Das ist es!

Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder! Jeden Tag neu aufstehen - was, ich soll heute den Herrn empfangen! Diese Unmittelbarkeit des Staunens, so wie ein Kind kommt und staunt und staunen kann, und es bekommt ein Licht in die Augen, sodaß es einfach Sonne ist, voll Staunen darüber, über irgendeine Blume, irgend etwas Schönes oder Neues.
VB 1959

15. August 2015

Zwiesprache des Menschen mit GOTT


Das Menschenleben, sagt Buber, ist eine ständige Zwiesprache des Menschen mit GOTT. Der Mensch ist in seinem Leben ständig von GOTT angesprochen, und das ist, vom Menschen her gesehen, die Wirklichkeit, die GOTT im Menschenleben spielt. Diese Wirklichkeit ist also eine dynamische. Es muß uns Wunder nehmen und ist ein merkwürdiger Satz, wenn manche Alten sagen - zuletzt Angelus Silesius, aber der Satz ist viel älter - "GOTT braucht mich und ohne mich wäre GOTT nicht GOTT." Das darf man nicht auffassen vom Standpunkt der Theodizee aus, sondern vom Standpunkt der Wirklichkeit, wie sie GOTT eingerichtet hat.

GOTT möchte für uns ein Du sein und umgekehrt muß GOTT für uns ein Du sein. Es ist etwas anderes, in GOTT lediglich den philosophischen GOTT zu sehen, das heißt, das Absolute, das ich nicht ablehnen darf und kann, vielleicht schon aus rein natürlichen Erwägungen heraus. Das ist nicht der GOTT, um den es sich hier dreht. GOTT, wie wir Ihn meinen, ist persona und von dem Standpunkt aus gesehen, ist es erklärlich, daß ER uns Seinen SOHN schickt, um dieses Verhältnis zu beleben und zu der Höhe zu führen, die ihm entspricht. Der Mensch, wir Christen, sind also für GOTT nicht nur Geschöpf in genere, der Mensch ist ein Kind, von GOTT angesprochen, es hört auf GOTT, für GOTT ein Du.

Und das ist von vornherein das große Wunder, daß GOTT den Menschen als ein Ich nimmt und daß ER mit dem Menschen nicht umgeht wie mit irgend einem anderen Geschöpf. Zum ganzen Universum sagt GOTT nicht Du. Das ganze Universum ist in seiner Pracht und Herrlichkeit, in die wir jetzt ein bißchen mehr eindringen, für GOTT nur ein Es. Und die Seele des geringsten Menschen ist für GOTT ein Du. Und indem der Mensch ist und GOTT ein Verhältnis zu ihm hat, ist der Mensch von GOTT angesprochen.

Das Verhältnis GOTTES zum Menschen müssen wir als ständige Zwiesprache ansehen, als Zwiesprache, die einsetzt am Sinai und die fortgeführt wird bis zu jener Zwiesprache, wo GOTT Seinen eingeborenen SOHN uns schenkt, der schlechthin das Wort GOTTES geworden Ist. ER ist eben das Wort GOTTES in Person, das seiende Wort; und so muß auch unser Leben ein ständiges Angesprochensein von GOTT bedeuten. Wie das Angesprochensein verläuft, ist eine andere Sache.

Aber der Mensch, ohne angesprochen zu sein von GOTT, ist genau so und viel weniger wie ein Kind, das eine Mutter hat, die nie mit dem Kinde spricht. In der Sprache und in der Art der Sprache liegt es, wie die Menschen einander mitzuteilen verstehen. Alles sind Wesen, die Vögel und Tiere geben einander Zeichen und aufgrund der Zeichen verstehen sie die Reaktion. Aber sie sprechen nicht miteinander, sprechen kann nur der Mensch und GOTT. Und darum können wir das Verhältnis GOTTES zum Menschen als Sprechen ansehen und umgekehrt und wir müssen uns in allweg von Ihm angerufen fühlen. Je mehr der Mensch sich diesem Rufe GOTTES entzieht, je weniger ist er Kind GOTTES. Es kommt also ganz und gar darauf an, wie stark Einer im Gespräch ist.

VB 1957

13. August 2015

Marcuse - Der eindimensionale Mensch

aus dem Artikel "Marcuses Papstkritikerkritik" von Renzo Spielmann (Die Tagespost, 17.02.2009)

Hier einige Kostproben aus diesem Buch von 1964, die die aktuellen Vorgänge heute noch haargenau treffen:
"An den Knotenpunkten des Universums der öffentlichen Sprache treten Sätze auf, die sich selbst bestätigen und gleich magisch-rituellen Formen funktionieren." - " Die Sätze nehmen die Form suggestiver Befehle an, sie sind eher evokativ als demonstrativ." - "Die gesamte Kommunikation hat einen hypnotischen Charakter und gleichzeitig einen Anstrich von falscher Vertraulichkeit, das Ergebnis beständiger Wiederholung." - "Sie leugnet oder absorbiert den transzendierenden Wortschatz; sie sucht nicht nach Wahrheit oder Falschheit, sondern setzt sich ein und durch." - "Diese Struktur lässt  keinen Raum für Unterscheidung, Entwicklung und Differenzierung des Sinns." Der Erfolg der zeitgenössischen Mediensprache besteht für Marcuse in der "Fähigkeit, alle anderen Ausdrücke seinen eigenen anzuähneln." Eine solche Sprache spricht für Marcuse "in Kostruktionen, die dem Empfänger einen schiefen und abgekürzten Sinn aufnötigen."

Herbert Marcuse
Massenmedien sind "voller Hypothesen, die sich selbst bestätigen und die, unaufhörlich und monopolistisch wiederholt, zu hypothetischen Definitionen und Diktatenwerden", schreibt Marcuse. Nachdem die der bürgerliche Tradition gegenüber kritisch bis feindlich eingestellten Leser Marcuses der Studentengeneration der sechziger Jahre und ihrer späteren Schülern nach 1968 den Marsch durch die Institutionen geschafft haben, agieren sie längst selbst so, wie es ihr Lehrmeister Marcuse noch scharf kritisiert hat. Eine Art Verspießerung von links. Die "Selbstzerstörung der Aufklärung" sah Theodor W. Adorno am Werk, wo "Kritik in Affirmation" umschlage.

9. August 2015

Menetekel - Ratlosigkeit der Welt


Wenn es heutzutage nicht so bitter herb wäre zu leben um seinen geistigen Lebensraum zu wahren, dann müßten wir uns beglückwünschen, daß uns GOTT in diese Zeit gesetzt hat, die für uns zu einer heiligen, einer hochheiligen Zeit werden kann. - Es ist eine Zeit, die sich eigentlich nur vergleichen läßt mit jenen Zeiten, in denen GOTT, der Herr, unmittelbar eingriff in das Geschick, in das Leben der Völker, in das Leben der Welt, hineingreift mit Seiner GÖTTlichen Hand und nun selbst die Völker und das Leben derselben lenkt und leitet.
Wir sind uns dessen gar nicht bewußt, aber die Menschen nach uns werden uns ansehen, so wie wir heute die ersten Christen ansehen; werden uns ansehen als ein Geschlecht, das vor letzte und allerletzte Entscheidungen gestellt worden ist.
Viele von Ihnen können sich noch jener Zeiten erinnern, da wir in der Jugend lebten, so ganz unbesorgt, wir hatten weiter keine geistigen und religiösen Nöte, wir waren von der Tradition getragen, wir machen es so wie die ganze Welt es eben macht. Das ganze Milieu, in das wir eingebettet waren, es ging alles von selbst wir durften uns einfach der Zeit hingeben im guten Beispiel, der tragenden Kraft der Mitmenschen und man war ein guter Mensch, ein heiliger Christ.
Die Zeiten sind anders geworden! Überlieferung ist für sie ein Wort geworden, das man auch beiseiteschieben kann. Es löst sich heute tatsächlich alles auf in seine letzten Bestandteile. Und wenn wir heute über hundert Jahre hieher sehen könnten, wir würden die Menschen überhaupt nicht mehr kennen! Sind das unsere Ahnen? Sind das die Räume, in denen wir uns bewegten? Reden sie noch in unserer Sprache?
Der Einschnitt, den GOTT heute in die Welt macht, ist so gewaltig wie der Einschnitt, den ER ungefähr machte, als ER Seinen Eingeborenen in die Weit sandte.
Wir können uns vorstellen, was das war, vor CHRISTUS und nach CHRISTUS. Die Welt sagte einfach: Ja, was wollen denn die? Sie hassen nicht, sie sind sanftmütig, sie sehen nicht auf ihren Vorteil, sie lassen sich auf die rechte Wange schlagen und bieten freudig die linke dar. Was sind das für Menschen? Die Welt war einfach starr.
 Und bitte, nehmen wir nicht die ersten Zeichen bereits wahr, daß die Welt vor uns Christen einfach ratlos dasteht? Die Welt als Welt begreift uns Christen nicht mehr. Es ist heute wieder einmal die Zeit der allerletzten Entscheidungen gekommen. Das ist herb zu tragen für die, die es aushalten müssen, für die, an denen sich die Entscheidung vollzieht. - Aber der Finger GOTTES schreibt jetzt in der Zeit! Jetzt sehen wir GOTTES Eingreifen!
(VB 1937)

6. August 2015

Mangel an Stosskraft - reformatio animae

Der Mangel, der unserem Christentum heute anhaftet - anders gewendet, der letzte Grund, warum ihm heute die natürliche Stoßkraft fehlt und der "Sauerteig" zu ermatten scheint - für diese Tatsache gibt es wohl nur eine  einzige Erklärung: Wir haben das Gespür für das Wesen verloren. Wir sind Spätlinge des Geistes in der Philosophie nicht weniger als in unserem Christentum. Wir haben den Sinn für den letzten Gehalt, den Kern, eingebüßt, was uns geblieben ist, sind herrliche Methoden, um überliefern zu können und auszudeuten, was wir ererbt haben. Wir fühlen auch unser Versagen und suchen Abhilfe: aber unsere Abhilffe begnügt sich viel zu sehr mit der Erneuerung der äußeren Gestalt des christlichen Lebens und der Form, in der wir die Wahrheit vortragen, ohne daß wir uns des Wesens im tiefsten Sinn wirklich wieder bewußt würden.

Es ist an der Zeit, unser christliches Bewußtsein so zu vertiefen, daß eine kommende Auseinandersetzung mit ihm oder besser ein Sturm dagegen an seiner Strahlkraft zerschellt. Wir sprechen viel vom wahren Wesen der Religion, aber praktisch stehen periphere Werte im Vordergrund. ...

was uns nottut, ist die Tiefe, Weite und Größe jenes urchristlichen Bewußtseins und seiner uns entschwundenen geistigen Haltung - das Gefühl für die eine und einzige Wirklichkeit und Urnotwendigkeit: Gott - Gott aber gefaßt und aufgenommen in einem Bewußtsein der lebendigen Nähe Gottes  und in einer Seele, die aus dieser Gott-Habe lebt und in sich den Wandel der Vergöttlichung wirklich nachvollzieht - die reformatio animae des augustinischen Denkens.

Albert Auer OSB : Reform aus dem Ewigen. 1955. Vorwort