"Minimum quod potest haberi de cognitione rerum altissimarum, desiderabilius est quam certissima cognitio, quae habetur de minimis rebus."

"Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge zu gewinnen vermag, ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen"

(Thomas von Aquin: I, 1, 5 ad 1)

30. April 2012

Bin ich aus der Wahrheit?

Bin ich aus der Wahrheit? Ich kann das ,testen‘: wenn mir die Stimme Christi aus seinem heiligen Evangelium vertraut klingt, wenn ich gern auf seine Worte horche. Hören aber heißt, nicht nur schnell hinhören, sondern ganz und mit Konsequenz hören. Wie das Wort Gottes, die Wahrheit Gottes, die uns Christus bringt, wirkendes Wort ist, Tat-Wahrheit, schöpferische Wahrheit von Gott her, so kann sie auch vom Menschen nur als solche aufgenommen werden ins wirkliche Leben, in die Tat der Entscheidung“ (Josef Eger).

22. April 2012

Tag des HERRN

Ein spezifisch christlicher Feiertag allerdings, dies Dominica, »Tag des Herrn« ist der Sonntag nicht dadurch, daß er, als »siebenter Tag«, den alttestamentlichen Sabbat vollendet, sondern sofern er ein auf Christus bezogener Tag ist, Begängnis der Menschwerdung Gottes, die in der Auferstehung des Herrn zur vollen Frucht und Erscheinung gelangt. Der christliche Sonntag ist ein österlicher Tag, eine Ausstrahlung von Ostern.

Auch Ostern könnte, obwohl an diesem Tage ein geschichtliches Ereignis begangen wird, niemals ein wirkliches Fest und gar »›das Fest‹ der Kirche schlechthin« sein, wenn es nicht mehr wäre und nicht etwas anderes als ein bloßer Gedenktag. In Wahrheit handelt es sich um eine mysterienhafte Gegenwärtigsetzung dieses Ereignisses, die eine unvergleichlich realere Präsenz bewirkt, als die Erinnerung es je vermöchte (obwohl auch dies wahr ist, daß die Freude »erst in der Erinnerung vollkommen« wird). Der Grund und Anlaß auch dieses Festes ist, daß in dem Ereignis der Auferstehung Christi etwas seinen Anfang genommen hat, wodurch das Leben der Menschen seitdem und heute und in alle Zukunft jene unbegreifbare Erhöhung erfahren hat, die in der Sprache der Theologie »Gnade« und »Neues Leben« heißt. Und also wird auch in der österlichen Feier der Christenheit, gerade in ihr, eine Bejahung des Daseins im ganzen dargelebt und begangen, wie sie begründeter, umfassender und tiefgreifender gar nicht gedacht werden kann.

Das Geschenk der Erschaffung, die Verheißung vollkommener Glückseligkeit, die durch Menschwerdung und Auferstehung geschehene Mitteilung göttlicher Lebenskraft – alles das sind aber doch, so könnte einer sagen, Dinge, die, wenn die Christen recht haben, zu jeder Stunde das menschliche Dasein bestimmen. Warum werden sie dann nur hin und wieder, nur jeden siebenten Tag oder nur an den seltenen großen Festen »begangen«? Wie man sieht, kommt hier wiederum das Thema des »immerwährenden Festes« in Sicht. – Es könnte in der Tat das Fest als den besonderen, seltenen und ausnahmehaften Tag nicht geben, nicht jedenfalls als einen ohne Krampf und Gewaltsamkeit begangenen Tag, wenn nicht der festliche Anlaß immerfort bestünde und auch (als das Zuteilwerden von etwas Geliebtem) erfahren würde. Soll überhaupt ein herausgehobener bestimmter Tag als Fest gefeiert werden können, dann nur als das Manifestwerden eines niemals unterbrochenen, wenngleich in der alltäglichen Zeit verborgenen Festes. 


                                                     Josef Pieper: Zustimmung zur Welt

Auferstehung und leibliches Wohlsein

Wie könnte die Vorstellung leiblichen Wohlseins im Ernst ausgelassen werden von jemand, der an die Auferstehung der Toten glaubt!
                                                                         Josef Pieper

19. April 2012

Gegentag der Geschichte

Gegentag der Geschichte. – Das Wort von der »größeren, verlängerten Tageform oder dem Gegentag der dunkleren Geschichte – dieser ihrer göttlichen gethsemanischen Nachtwache gegen die Natur« aus dem Christlichen Epimetheus ist nur schwer in seinem vollen Gewicht zu fassen; man muß es buchstabieren.

Die »verlängerte Tageform« läßt, als Gegenbild des kurzfristigen Tages, auf den die »politische Neugier« blickt, an die tausend Jahre denken, die vor Gott sind wie ein Tag. Diese verlängerte Tageform begreift in sich auch den Gegentag, sozusagen die Nacht der dunkleren Geschichte; jene Nacht, in der sich vollzieht, was dem scheinbar rational Faßbaren des »Tages«-Geschehens     (»Entwicklung«, »Fortschritt usw.) als ein Widerpart zugeordnet ist. Wenn man die Geschichte auf die heilige Geschichte bezieht, so kann man vielleicht sagen: wie der Tagesseite der Menschwerdung des Logos die Nachtseite von Christi Leiden und Tod zugeordnet ist und wie diese Nachtseite des Leidens und Todes dem »natürlichen« Gang der Dinge, so wie der »natürliche« Mensch ihn versteht und will, entgegen ist, so auch ist die Nacht der Geschichte dem idealistischen Versuch des Begreifens und des Ausdeutens entzogen. Und wie in Christi Tod und Leiden das Eigentliche der Menschwerdung geschah – gegen die »Natur« –, so auch geschieht in der Geschichte überhaupt die Vollendung ihres »Tages«-Geschehens unter dem verhüllenden Schleier der Nacht – und gleichfalls »gegen die Natur«. Dies Letzte kann vieles bedeuten: es kann bedeuten, daß die Rettung (die ja nach Konrad Weiß »der gegen jeden Zugriff entscheidende Sinn der Geschichte« ist) sich unter dem Anschein des Verderbens und des Unterganges begibt – spes contra spem. Es kann auch bedeuten, daß die Geschichte, als dem Menschen zugehörig, ebenso wie der Mensch selbst, nicht in dem naiv und eigensinnig »Naturgemäßen« ihre Vollendung finden kann, daß vielmehr gerade ihre großen Aufschwünge alles Naturgemäße und damit alles Vorhersehbare durchkreuzen.
                                                                                                                        (1943) Josef Pieper

18. April 2012

Geschichte - Konrad Weiß

»Soweit wir heute bloß im Tage leben und die größere, verlängerte Tageform oder den Gegentag der dunkleren Geschichte – diese ihre göttliche gethsemanische Nachtwache gegen die Natur – nicht mehr wissen, erhebt sich die bloße politische Neugier. Die Vorgebote auf den Wegen der Geschichte aber sind halbblind, oder geteilt mit einer vertrauenden Blindheit und deshalb ohne eine Neugier, welche den Sinn in den täglichen Dingen befriedigen will.« Man sollte sich selbst und manchem Partner politischer Gespräche gegenwärtig halten, was in diesen Sätzen von Konrad Weiß ausgesagt ist. Man würde einesteils sich hingewiesen finden auf die Verborgenheit und Unfaßbarkeit dessen, was in der jeweilig heutigen Geschichte wirklich geschieht, und so nicht nur in die Möglichkeit gesetzt, den täglichen Andrang der Ereignisse mit größerer, tiefer verankerter Ruhe des Gemütes zu bestehen, sondern auch in den Stand, das einzelne und für den aus unmittelbarer Nähe Zuschauenden und Miterlebenden oft genug widrige Geschehen mit einer größeren, gelasseneren Gerechtigkeit, die dennoch nichts Un-Teilnehmendes an sich hätte, zu beurteilen.
 (1943) Notizen Josef Pieper

1. April 2012

Vor Christus unser ganzes Sein ausbreiten

Liebe Brüder und Schwestern, mögen besonders zwei Grundstimmungen diese Tage beherrschen: der Lobpreis, wie bei denen, die Jesus in Jerusalem mit ihrem „Hosanna" empfangen haben, und der Dank, weil Jesus, der Herr, uns in dieser Karwoche von neuem das denkbar größte Geschenk machen wird: Er wird uns sein Leben schenken, seinen Leib und sein Blut, seine Liebe. Doch auf ein so großes Geschenk müssen wir in angemessener Weise antworten, das heißt mit dem Geschenk unserer selbst: unserer Zeit, unseres Gebetes, unseres tiefen, liebevollen Verbundenseins mit Christus, der für uns leidet, stirbt und aufersteht. 

Die Kirchenväter haben ein Symbol all dessen in der Geste der Menschen gesehen, die Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem folgten, in der Geste, ihre Mäntel vor dem Herrn auszubreiten. Vor Christus – sagten die Väter – müssen wir unser Leben, unser ganzes Sein ausbreiten, in einer Haltung der Dankbarkeit und der Anbetung. Hören wir zum Abschluß noch einmal die Stimme eines dieser alten Väter, des heiligen Bischofs Andreas von Kreta: „Breiten wir also demütig vor Christus uns selber aus und nicht die Mäntel oder leblose Zweige und grüne Blätter, welche die Augen nur für wenige Stunden erfreuen und deren Schicksal es ist, mit dem Pflanzensaft auch ihr Grün zu verlieren. Breiten wir uns selber aus, bekleidet mit seiner Gnade oder besser: mit ihm selbst ganz und gar … und werfen wir uns wie ausgebreitete Mäntel ihm zu Füßen … damit wir dem Sieger über den Tod nicht mehr einfache Psalmzweige, sondern Siegestrophäen darbringen können. Indem wir die geistlichen Zweige der Seele schwingen, rufen auch wir jeden Tag, gemeinsam mit den Kindern, in heiligem Jubel: »Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn, der König Israels!«" (PG 97,994). Amen!



Benedikt XVI, 1.4.2012