"Minimum quod potest haberi de cognitione rerum altissimarum, desiderabilius est quam certissima cognitio, quae habetur de minimis rebus."

"Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge zu gewinnen vermag, ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen"

(Thomas von Aquin: I, 1, 5 ad 1)

30. April 2016

Die Sünde (1)

Was uns wesentlich notwendig ist, weil wir schwache Menschen sind, das ist ein wahres Bewußtsein von Sünde und was Sünde ist. ...
Sünde ist nichts anderes als die weiteste Entfernung von GOTT. Gewiß, es ist wahr, daß die Zeit heute auch nicht viel schlimmer ist als andere Zeit und wenn wir im Mittelalter leben würden, könnten und wollten wir nicht dort leben. Auch das Mittelalter hatte wirklich Laster, die man als massiv bezeichnen muß. Die Vitalität und Primitivität dieser Menschen war kaum zu wenden. Aber, was das Mittelalter von unserer Zeit unterscheidet, ist, daß es auch seiner Sünden bewußt war. Die Menschen damals wußten, daß sie und wann sie sündigten.
Wir heute haben wohl einerseits ein viel differenzierteres Gewissen, das dürfen wir ruhig sagen, so differenziert ethisch, wie wir sind, war noch keine Zeit. Darum ist es so unsäglich schwer, heute mehr und mehr ein Christ zu sein, daß unser Ethos und die sittliche Haltung dem entspricht. Was uns aber heute bedrückt und unterscheidet, ungünstig von früher, daß wir gelernt haben, Sünde zu deuten und dadurch zu übersehen. Wir leben nicht in einer Welt, wo allweg Radienkreise sind, sodaß sie alle, wenn man ihnen nur weit genug nachfolgt, einmal sich vereinigen, bis sie sich schließlich im Mittelpunkt treffen. Wir leben in einer Welt heute, wo jeder Weg sich nach einer Weile gabelt und jeder der neuen Wege sich wiederum gabelt,und so kommt es, daß noch keine Zeit dermaßen differenziert war und viele Einzelentscheidungen verlangte, wie gerade unsere Zeit.
In früheren Zeiten konnte man sich einfach dem Strome des Lebens hingeben, das geht heute nicht mehr. Und aus diesem Bewußtsein heraus ist das Buch geschrieben: "Die große Scheidung" von Lewis [C. S. Lewis]. Wir haben gelernt, für jede Sünde eine Entschuldigung zu finden, wir haben unsere Sünden zu erklären gelernt, sozial, psychologisch, neurologisch, wissenschaftlich - und nicht zuletzt durch unsere gepriesene Psychoanalyse, die soviel Gutes und Schlechtes hat. Wir haben gelernt, von geistiger Raison zu sprechen, von doppelter Moral, als Konsequenz aus unserer degenerierten Situation.
Aber, was uns verloren gegangen ist, das ist die Einsicht in das Wesen dessen, was Sünde ist vor GOTT, was Sünde ist als Frevel gegen die göttliche Majestät. Und so ist diese zweite Erwägung nichts anderes als der Schatten zur ersten Erwägung.
Wir wollen nur die Erlösung sehen, nur das Große, die ewigen Werte im Christentum, vor allem, wie im Frühchristentum alle geistigen Werte sich übergipfelten, das ist eine Schau, die wir lieben, aber die Abgründigkeit der Sünde als Beleidigung GOTTES, als wirkliches Erleben aus dem Glauben heraus, die fehlt den meisten unter uns. Und daher unser Sträuben gegen die Buße und gegen die Beichte. Und daher diese Diskussionen über viel oder wenig beichten und sich ausreden, daß das Urchristentum weniger gebeichtet hat. Einen falscheren Analogieschluß gibt es nicht.
Am 4. Sonntag nach Ostern, Joh.16, wir werden uns wundern. Ostern ist vorbei und Pfingsten beginnt hereinzustrahlen und der Herr beginnt immer mehr vorn GEIST zu reden, vom Tröster. - Daß ER gehen muß, daß das, was ewig bleibt, der GEIST ist, Pfingsten ist. Und da sagt ER, zu unser aller Staunen: "Wenn Er kommt, der Tröster, wird Er der Welt beweisen, daß es eine Sünde gibt, eine Gerechtigkeit und ein Gericht. Eine Sünde, weil sie an Mich nicht geglaubt haben … " Also müssen wir davon sprechen, daß Glaube letztlich der ganze, totale Mensch ist, daß wir neu und tief glauben lernen. Dann muß uns auch klar werden, was Sünde ist.