"Minimum quod potest haberi de cognitione rerum altissimarum, desiderabilius est quam certissima cognitio, quae habetur de minimis rebus."

"Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge zu gewinnen vermag, ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen"

(Thomas von Aquin: I, 1, 5 ad 1)

3. Dezember 2015

In diesem Leben den Advent sehen

Als ich vor etwa zwei Wochen (1958) in der Frühe durch die Stadt ging um sechs Uhr, so wie man eben in der Früh geht voll Sorgen, was an dem Tag sein wird, wie sich alles wird erledigen lassen, ob die Zeit reicht, ob die Kraft reicht, ob GOTT hinter allem steht ... Und es war kalt und nebelig, wie es eben sein kann in Salzburg, wenn keine Festspielzeit ist. Der nüchterne, graue Alltag. Da schlug es sechs Uhr und oben begann dieses Glockenspiel, so halb verschlafen, weil es die Melodie noch nicht recht hatte, es begann zu singen (singen ist zwar zu viel gesagt),: "O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit ..."
Und ob Sie es glauben oder nicht, ich mußte stehen bleiben und mußte es anhören. Ich habe das Glockenspiel noch nie geliebt und habe die Fremden immer angestaunt, die stehen blieben und dieses klägliche Spiel anhörten; aber da auf einmal hörte ich nichts mehr als nur: "O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit".
Das ist Advent. Nicht die Stimmung - o, mir war gar nicht darnach, mir war nur darnach, wie ich allem gerecht werden sollte an diesem Tag. Um Stimmung dreht es sich nicht. Aber darum, diese Idee, die in einem geweckt wird: "O du fröhliche, du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit" in Synthese zu bekommen zu dem kalten, nackten Alltag. Das ist Advent und das ist Christentum. Und wie es eben keine Zufälligkeiten gibt, namentlich, wie ich fest überzeugt bin, keine Zufälligkeiten, was einem GOTT für Bücher in die Hände spielt. Es ist eine Gnade, daß einem GOTT zur rechten Zeit die rechten Bücher in die Hand gibt.
Das habe ich erfahren, angefangen von den Confessiones des hl. Augustinus und mein ganzes Leben hindurch. ER hat gedacht, das ist ein so törichter Mann, da muß Ich eingreifen. Und gerade an diesem Tage dachte ich mir, diese öde Vorlesung, was nur soll ich machen? Da kam mir der Name "Leclercq" in den Sinn und ich schlage das Buch auf und finde die Stelle, das sei Christentum: die Frohbotschaft mit der Nüchternheit und Unerbittlichkeit des grauen Alltags in Einklang zu bringen. Das ist Advent.
Und wenn wir vom Einkehrtag heimgehen und wenn Advent und Weihnachten vorbei ist, dann ist der Alltag genau so nüchtern wie vorher und trotzdem ist es so, (aber nicht "trotzdem" sagen mit dieser stoischen Heldenhaltung), nein, trotzdem ist es so, daß in diesem Alltag sich GOTT offenbart. Genau so, wie dieser Bambino in der elenden Futterkrippe mit dem Stroh- und Heureste vom Vieh der GOTTmensch war. Das ist Christentum, das ist Advent, in dieser Futterkrippe des Alltags, wovon ich genährt werde, wovon ich lebe, weil es in GOTTES Namen meine Pflicht und mein Dienst ist; ich darf es nicht von mir werfen.
In dieser Futterkrippe des Alltags eingebettet GOTT finden, das ist Advent. Und der ist so poetisch, der greift so in den Seelengrund hinein, wie er auch der nüchternen Wirklichkeit gerecht wird. Es gibt nichts Seligeres als den Advent. So ein Adventabend, wenn er verdämmert und jenseits dessen steht GOTT, die Ewigkeit und der Himmel. Es muß nicht Weihnachten sein. Es ist die seligste Zeit, es ist die Zeit GOTTES. Und trotzdem ist alles, wie es ist. Es muß so sein. Wir meinen immer, GOTT hätte die Welt anders schaffen sollen. O nein, sonst müßte ER aus dem Kreuz eine Goldkrone machen. Wir müssen in diesem Leben, das mir GOTT so hingerichtet hat, den Advent, die Ankunft des Herrn sehen.
Wissen Sie, heute muß ich ihn loben, den, der dieses Glockenspiel erfunden hat. In diesen dynamischen Alltag hinein, der so hart ist und der nur nach Leistung frägt und nicht darnach, wie es mir geht, in diesen Alltag hinein zu singen: "O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit." Diese beiden Dinge zusammenbringen, das ist das Christentum, und die Forderung, die GOTT an uns stellt.

VB 21

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen