"Minimum quod potest haberi de cognitione rerum altissimarum, desiderabilius est quam certissima cognitio, quae habetur de minimis rebus."

"Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge zu gewinnen vermag, ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen"

(Thomas von Aquin: I, 1, 5 ad 1)

23. Dezember 2011

Entwicklung und Kontinuität in der Kirche

Ein Leib bleibt mit sich identisch gerade dadurch, dass er ständig im Prozess des Lebens neu wird. Für Kardinal Newman war der Gedanke der Entwicklung die eigentliche Brücke seiner Konversion zum Katholischen geworden. Ich glaube, dass er in der Tat zu den entscheidenden Grundbegriffen des Katholischen zählt, die noch lange nicht genug bedacht sind, obwohl auch hier dem Zweiten Vatikanum das Verdienst zukommt, ihn wohl zum ersten Mal in einem feierlichen Lehrdokument formuliert zu haben. Wer nämlich sich nur am Wortlaut der Schrift oder an den Formen der Väterkirche festklammern will, der verbannt Christus ins Gestern. Die Folge ist dann entweder ein ganz steriler Glaube, der dem Heute nichts zu sagen hat, oder eine Eigenmächtigkeit, die zweitausend Jahre Geschichte überspringt, sie in den Mülleimer des Missratenen wirft, und sich nun ausdenkt, wie Christentum nach der Schrift oder nach Jesus eigentlich aussehen müsste. Aber was herauskommt, kann nur ein Kunstprodukt unseres eigenen Machens sein, dem keine Beständigkeit innewohnt. Die wirkliche Identität mit dem Ursprung ist nur da, wo zugleich die lebendige Kontinuität ist, die ihn entfaltet und eben so bewahrt.

(Die Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils (1985), in: Joseph Ratzinger Gesammelte Schriften 8, hg. von Gerhard Ludwig Müller, Freiburg 2010, 258–282, hier: 261 f.)


DBK 5248

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