Mutter, du klagst, von der Brücke
warf sich dein Sohn in den Tod,
weil ihm der Mächtigen Tücke
Folter und Schändung gedroht?
Zitterst, er warf auch den Glauben,
Gnade und Heil von sich,
da er dem teuflisch tauben
Wüten der Henker entwich,
Bürde vom Nacken geschüttelt,
armer entlaufender Knecht,
frevelnd am Tore gerüttelt,
Gottes ureigenem Recht?
Weine, Mutter, o weine -
von Tränen ein Ozean
löscht nicht, was sie an deinen
Kindern unnennbar getan.
Aber wisse, die Milde,
die dir das Herz zerbricht,
spiegelt im Tautropfenbilde
tilgender Liebe gericht:
Zwischen dem Brückengelände
und der spritzenden Dunkelheit
flutet, Meer ohne Ende,
Gottes Barmherzigkeit!
Zum Gedächtnis von Hermann und Sophie
Krieger, die sich mit ihrem Kind Rosmarie am 28. Februar 1943, dem
Vorabend ihrer Verschleppung nach Polen, das Leben nahmen.
Ida Friederike Görres: Der verborgene Schatz, S.59