"Minimum quod potest haberi de cognitione rerum altissimarum, desiderabilius est quam certissima cognitio, quae habetur de minimis rebus."

"Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge zu gewinnen vermag, ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen"

(Thomas von Aquin: I, 1, 5 ad 1)

20. Juli 2013

Ehe und Talente

,,Selbstverwirklichung“ ist immer dann ein fatales Wort, wenn damit der Andere als Konkurrent und als Beschränkung der eigenen Freiheit aufgefasst wird. In Wirklichkeit kommt der Mensch in dem Maß zur Verwirklichung seiner selbst, in dem er sich gibt. „Wer sich selbst retten will, verliert sich; wer sich verliert ..., der rettet sich“ heißt daher ein zentrales und urmenschliches Wort Jesu (Mk 9,35). Nur am Du und durch das Du kann ich zu mir selber kommen, aber nicht, indem ich die Läden herunterlasse und möglichst nichts von meinem Leben preisgeben will. Es ist wie mit dem Gleichnis von den Talenten: Durch Ausgeben wachsen sie; der, der sie vergrub, hatte seine Möglichkeit vertan (vgl. Mk 25,14–30). Deswegen ist die Hingabe an einen Menschen, die Treue zu ihm, nicht Gegensatz zur Freiheit, sondern erst ihr wirklicher Anfang. Die höchste Möglichkeit der Freiheit ist die Fähigkeit, sich zu entscheiden, die Fähigkeit zum Endgültigen. Wer in seinem Leben das Endgültige nicht wagt, lässt seine Freiheit als totes Kapital liegen und versäumt die Möglichkeit zu reifen, die nur aus der Kraft des Endgültigen kommt. Nur Liebe, die sich dem anderen ganz gibt – ,,bis dass der Tod euch scheidet“ – und dies durchsteht, ist dem inneren Anspruch der Liebe und damit des Menschseins gemäß. 

Kardinal Ratzinger, 1980 

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