"Minimum quod potest haberi de cognitione rerum altissimarum, desiderabilius est quam certissima cognitio, quae habetur de minimis rebus."

"Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge zu gewinnen vermag, ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen"

(Thomas von Aquin: I, 1, 5 ad 1)

23. August 2013

Heroische Tugend


Von der fortitudo purgatoria, die für den Christen also im allgemeinen die höchste erreichbare Stufe der Tapferkeit bezeichnet, sagt Thomas: sie gebe der Seele die Kraft, nicht erschreckt zu werden durch den Eintritt in die höhere Welt (»propter accessum ad superna«). Das ist eine auf den ersten Blick sehr sonderbare Aussage. Sie wird aber verständlicher, wenn man bedenkt, daß nach der übereinstimmenden Erfahrung aller großen Mystiker am Anfang und wiederum vor der letzten Vollendung des mystischen Lebens die Seele wie in eine »dunkle Nacht« der Sinne und des Geistes ausgesetzt wird, in der sie sich wie ein Ertrinkender auf hoher See verlassen und verloren glauben muß. Johannes vom Kreuz, der doctor mysticus, sagt, in dem »dunklen Feuer« dieser Nacht, die ein wahrhaftes purgatorio sei und deren Qual jede selbstauferlegte Bußübung, die etwa ein Asket sich ausdenken möge, unsagbar übersteige, reinige Gott mit unerbittlich heilender Hand die Sinne und den Geist von den Schlacken der Sünde.

Der Christ, der in dieses Dunkel hineinzuspringen wagt und sich mit diesem Sprunge aus seiner eigenen, auf Sicherheit bedachten Hand entläßt und »losläßt« in die absolute Verfügung Gottes hinein, verwirklicht also in einem ganz strengen Sinn das Wesen der Tapferkeit; er geht um der Vollendung der Liebe willen auf das Furchtbare zu; er fürchtet sich nicht, um des Lebens willen sein Leben zu verlieren; er ist bereit, getötet zu werden vom Anblick des Herrn (»Kein Mensch schaut mich und bleibt am Leben.« Ex 33, 20).

Von hier aus wird erst der eigentliche Sinn der Ausdrucksweise »heroische Tugend« sichtbar: das Fundament dieser Stufe des inneren Lebens, deren Wesen die Entfaltung der Gaben des Heiligen Geistes ist, ist wirklich die Tapferkeit, die in einem besonderen Sinne und erstlich und namengebend »heroische« Tugend, und zwar die gnadenhaft überhöhte Tapferkeit des mystischen Lebens. Die große Meisterin christlicher Mystik, Teresa von Avila, sagt, zu den ersten Bedingungen der Vollkommenheit gehöre vor allem: Tapferkeit. In ihrer Selbstbiographie steht der sehr bestimmt formulierte Satz: »Ich behaupte, ein unvollkommener Mensch habe dazu, den Weg der Vollkommenheit zu gehen, mehr Tapferkeit nötig als dazu, plötzlich Märtyrer zu werden.«

Josef Pieper: Vom Sinn der Tapferkeit, S. 131f.

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