Vorbemerkung zu: Über die Schwierigkeit, heute zu glauben (1974)
»Die Schwierigkeit zu glauben« gibt es natürlich nicht erst seit »heute«; sie besteht zu jeder Zeit; etwas anderes ist auch gar nicht zu erwarten. Schließlich verlangt die menschliche Vernunft kraft ihrer Natur nach Erfahrung und zwingender Argumentation. Glauben hingegen heißt: etwas als wahr und wirklich akzeptieren – nicht auf Grund eigener Einsicht in den Sachverhalt, sondern indem man sich auf seine Bezeugung durch jemand anders verläßt. Der freilich muß dem Glaubenden als ein nicht gleichfalls Glaubender gelten können, vielmehr als einer, der sieht und weiß. Im Falle des religiösen Offenbarungsglaubens verschärft sich die Schwierigkeit noch um eine ganze Dimension; denn der Zeuge und Bürge, auf dessen Wort er sich stützt, Gott selber, begegnet uns ja nicht unmittelbar. Weil aber trotz allem solcher Glaube selbstverständlich nicht ins Blaue hinein geschieht noch auch geschehen darf, darum wird es begreiflich, wieso auf diesem Felde Unstimmigkeit und Konflikt etwas nicht von vornherein Vermeidbares sind.
Dennoch hat »heute« die Schwierigkeit zu glauben ein besonderes Gesicht und auch neuartige Gründe. Dies ist der Punkt, von den »Verwüstungen der Theologie« zu reden. Die Formulierung ist zwar bereits anderthalb Jahrhunderte alt; sie stammt von Hegel, aus seinem letzten Lebensjahrzehnt. Das mit ihr Gemeinte aber besitzt gerade für den gegenwärtigen Augenblick eine beklemmende Aktualität. Das Wort zielt auf den aufgeklärten, biblisch gebildeten Agnostiker und auf eine ohne Glauben betriebene »Theologie«. Georges Bernanos hat sie im Titel eines fast prophetischen Romans bei ihrem wahren Namen genannt und sie als das bezeichnet, was sie wirklich ist, als »Betrug«. Und es ist eben dieser Betrug, der »heute« dem Durchschnittsmenschen die Chance des Glaubenkönnens hoffnungslos zu versperren droht.
Nun vermag ich natürlich nicht die Meinung Hegels zu teilen, jene durch eine Pseudo-Theologie angerichteten »Verwüstungen« könnten durch die Kraft der philosophischen Vernunft geheilt werden. Gleichwohl bin ich davon überzeugt, daß hier dem Philosophierenden ein Amt zufällt, das von niemandem sonst wahrgenommen werden kann. – Der von den großen Lehrern der Christenheit immer neu formulierte Gedanke von der Gnade, welche die Natur nicht zerstöre, sie vielmehr voraussetze und vollende – dieser in einer spezifisch theologischen Weltkonzeption gründende und daher von der modischen Pseudo-Theologie durchweg ignorierte Gedanke besagt ja zum Beispiel auch, die gläubige Annahme der Gottesoffenbarung sei an die Bedingung geknüpft, daß wir bestimmte, der natürlichen Vernunft erreichbare Wahrheiten im Bewußtsein lebendig realisieren, das heißt sie nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern sie auch wahrhaben wollen und sie so erst wirklich zu einem Teil unserer Lebenshabe machen.
Pseudo-Theologie bestimmt selbstmächtig die eigene Domäne und dünkt sich selbst genug. Wahre Theologie weiß sich auf die vorausliegende Norm der göttlichen Offenbarung verpflichtet und zugleich der Partnerschaft einer unabhängigen Befassung mit der natürlichen Realität bedürftig; in ihrem innersten Bereich gelangt man ferner nur durch einen Vorhof. Wer den Sinn von Zeichen und Symbol nicht erfaßt, kann niemals begreifen, was ein Sakrament ist; und nur wer eine Ahnung davon besitzt, was eine heilige Handlung ist, gewinnt Zugang zu einem Verständnis des Kultmysteriums der Christenheit.
In diesem Vorfeld, in der Region also der praeambula, und zwar der des Glaubens wie des Sakraments, ist die Aufgabe angesiedelt, der die folgenden Arbeiten verpflichtet sind. Fast ausnahmslos verstehen sie sich als notgedrungene Klärungsversuche, provoziert durch »die Schwierigkeit, heute zu glauben«.
Wahrscheinlich wird man finden, die dem Philosophierenden gesetzte Grenze sei manches Mal überschritten. Diesen Einwand nehme ich in Kauf. Recht hätte er allerdings nur dann, wenn die Grenzlinie zwischen dem Vorhof und dem Heiligtum nicht deutlich sichtbar bliebe. Zwischen Philosophie und Theologie zu unterscheiden ist notwendig; sie gegeneinander getrennt zu halten scheint mir nicht nur kaum möglich, sondern vor allem unerlaubt; dann nämlich werden beide gleichermaßen steril.
[Pieper, Werke Bd. 7, Hamburg 2000, S. 177 f.]
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