"Minimum quod potest haberi de cognitione rerum altissimarum, desiderabilius est quam certissima cognitio, quae habetur de minimis rebus."

"Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge zu gewinnen vermag, ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen"

(Thomas von Aquin: I, 1, 5 ad 1)

27. Oktober 2012

Kennzeichen des Christen


Das Kennzeichen des Christen ist der christliche Glaube und das christliche Leben. Beide, Glaube und Leben, gehören wie Wissen und Wirken zueinander. Der christliche Glaube ist die Voraussetzung des christlichen Lebens, und das christliche Leben ist die Frucht und Vollendung des Glaubens. Christliches Leben ohne christlichen Glauben ist unmöglich, und christlicher Glaube ohne christliches Leben ist unfruchtbar.
Zwar scheint es heute, als sei christliches Leben möglich ohne den christlichen Glauben; es scheint, als könne eine christliche Ordnung des Lebens unabhängig vom lebendigen Glauben an Christus verwirklicht werden. Tatsächlich aber ist dieses äußerlich christliche Leben nur denkbar als Nießbrauch einer Erbschaft, als Zehren von dem überkommenen Erbe des lebendigen Glaubens unserer Väter, aus dem sie ihr Leben gestaltet und auch die Ordnung des Gemeinlebens geprägt haben. Dies Erbe aber ist in Gefahr, völlig aufgezehrt zu werden, wenn es nicht aus wiederum lebendigem Glauben erneuert wird. Darum heißt Christ sein in dieser Zeit: christliches Leben aus der Gnade eines neu angeeigneten und neu zu eigen gewonnenen Glaubens wieder von seinem Ursprung her zu verwirklichen. Der Christ »lebt aus dem Glauben« (Röm 1, 17). 

Josef Pieper: Christenfiebel (1936)

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