Just
im Hinblick auf die Überwindung der Zuchtlosigkeit des Genießens
gewinnt übrigens die Kraft des Zürnens ein besonderes Gewicht.
Zwar
sagt auch Thomas, daß eine akute Versuchung zur Unkeuschheit am
ehesten durch Flucht zu besiegen sei [II, II, 35, 1 ad 4]. Aber er
weiß auch, daß der Süchtigkeit eines entarteten Genußwillens
durch bloße Verneinung, durch krampfhaftes »Nicht-daran-Denken«
keineswegs beizukommen ist. Thomas ist der Meinung, Bejahung müsse
stärker sein als Verneinung. Er ist der Meinung, daß die Entartung
einer Seelenkraft von dem noch unversehrten Kern einer anderen Kraft
her müsse geheilt werden können. So müsse es möglich sein, die
schlappe Zuchtlosigkeit eines unkeuschen Genußwillens dadurch zu
überwinden und sozusagen auszulöschen, daß eine harte Aufgabe mit
der Widerstandsfreudigkeit der vollen Zürnkraft angegriffen werde
[Ver. 24, 10].
Erst
die Verbindung der Zuchtlosigkeit des Genießenwollens mit der faulen
Unkraft zu zürnen ist das Kenn-Mal völliger und eigentlich
hoffnungsloser Entartung. Sie zeigt sich, wo immer eine
Gesellschaftsschicht, ein Volk, eine Kultur reif ist zum Untergang.
Josef Pieper: Zucht und Maß, S. 189
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