"Minimum quod potest haberi de cognitione rerum altissimarum, desiderabilius est quam certissima cognitio, quae habetur de minimis rebus."

"Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge zu gewinnen vermag, ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen"

(Thomas von Aquin: I, 1, 5 ad 1)

5. November 2012

Christus-Zeugniss aus unserer Zeit


Nicht selten haben mich junge Menschen, meistens mit leicht skeptischer Verwunderung, gefragt, ob ich denn niemals irre geworden sei in meinem Glauben an Christus, ob es da nie eine Schwierigkeit gegeben habe. Solche Fragen machen mich eher nachdenklich als zu einer prompten Antwort geneigt; und mancherlei geht mir dann durch den Sinn. Zum Beispiel: daß hundert »Schwierigkeiten« noch keinen einzigen Zweifel machen müssen; aber auch, daß Glaube erst ein Anfang ist, der sich in der tätigen Liebe vollenden will, und daß überdies einer immer noch glauben kann, wenn er die Liebe wie die Hoffnung längst verloren hat; »sogar die Dämonen glauben – und zittern«, sagt das heilige Buch der Christenheit. Dieser Gedanke mag meinem Gesprächspartner, falls er ihn errät, recht gelegen kommen, allzu gelegen vielleicht; und möglicherweise wird er sagen: ebendies letztere meine auch er; was einer glaubt, das sei doch, im Vergleich etwa zur »mitmenschlichen Solidarität«, gar nicht von Belang. Dagegen würde hinwiederum ich zu bedenken geben, ob denn nicht jedermann die Bemühung um die wissenschaftliche Erforschung der Wirklichkeit für eine ebenso selbstverständliche wie notwendige Sache halte; genau dies aber sei für mich auch der Glaube: erkennender Kontakt mit der Realität – zu welcher nicht nur die Welt gehöre und wir selber, sondern auch der lebendige Gott und das Ereignis der Schöpfung, die Inkarnation, das Sakrament. Hier unterbricht mich dann mit Sicherheit der ungeduldige Zwischenruf: Nun ja, dies sei eben schon Teil des Geglaubten selbst; was man von mir hören wolle, sei aber etwas ganz anderes, nämlich, ob ich in solchem Glauben ohne ernsthafte Erschütterung unverwandt festgeblieben sei und unbeirrt; und wenn ja – auf Grund von was?

Hierauf kann natürlich niemand eine Antwort geben, die das Fragen, auch das eigene übrigens, ganz und gar zur Ruhe bringt und stillt. Immerhin würde ich sagen, und ich habe es hin und wieder gesagt: daß ich an den zur Entscheidung nötigenden Wegkreuzungen meines Lebens, glücklicherweise, immer jemandem begegnet bin, einem Freunde, einem Ratgeber, einem Lehrer, einem Menschen jedenfalls, der, selber überzeugt, auch mich zu überzeugen bereitstand – durch sein Glaubenszeugnis, nicht notwendigerweise durch gesprochene oder geschriebene Rede, vielleicht einfach durch das Beispiel dargelebten Lebens, ohne ein ausdrücklich an mich gerichtetes Wort.

Und wenn nun mein Gegenüber im weiteren darauf bestünde, zu erfahren, was denn das von mir wahrhaft Geglaubte, auf den knappsten, präzisesten Ausdruck gebracht, inhaltlich besage, dann würde ich antworten mit einer Sentenz, die tatsächlich, vor mehr als fünfzig Jahren, durch einen jener Freunde und Lehrer meinem Gedächtnis unverlierbar eingeprägt worden ist: »Der unbegreifliche Gott, aufleuchtend im Antlitz Jesu Christi, dessen Leib die Kirche ist.« Dies Wort, übrigens gedacht als bündige Zusammenfassung der Lehre des großen Humanisten Kardinal John Henry Newman, spricht ganz exakt auch meine eigene Glaubensüberzeugung aus, welche das Fundament meines Daseins geworden ist. Und ich hege die feste Zuversicht, daß es mir niemals fraglich werden wird, wie auch die inständige Hoffnung, der alte Gebetsruf möge Erfüllung finden, den ich nur mit jener Sentenz verknüpft zu denken vermag: »Der Leib unseres Herrn Jesus Christus bewahre uns alle zum Ewigen Leben!«

Josef Pieper:Der Weg und die Wahrheit und das Leben. Christus-Zeugnisse aus unserer Zeit (1978) 

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