"Minimum quod potest haberi de cognitione rerum altissimarum, desiderabilius est quam certissima cognitio, quae habetur de minimis rebus."

"Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge zu gewinnen vermag, ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen"

(Thomas von Aquin: I, 1, 5 ad 1)

31. August 2013

Leben in Freiheit


Wer – wie ... Jean Paul Sartre – konsequent leugnet, daß der Mensch creatura sei und daß es also überhaupt so etwas gebe wie eine aller eigenen Entscheidung vorausliegende menschliche Natur, der handelt sich dafür eine Bindungslosigkeit ein, welcher zwar, wenngleich natürlich nur vermeintlicherweise, das ganze Feld der Windrose von dreihundertsechzig Grad frei verfügbar ist, die aber zugleich gänzliche Orientierungslosigkeit ist – weil sich dem Menschen folgerichtig »keine Möglichkeit (zeigt), sich auf etwas zu stützen, weder auf etwas in sich selbst noch außerhalb seiner selbst«: »es gibt keine Zeichen in der Welt«.Es ist dies genau jene berühmte Art von Freiheit, zu der man nicht berufen, sondern »verurteilt« wird und die schon fast identisch ist mit der Verzweiflung. (»Dies Wort hat eine äußerst einfache Bedeutung; es will sagen, daß wir uns darauf beschränken, uns auf das zu verlassen, was von unserem Wollen abhängt.«) All dies ist, wiederum, ein ziemlich exaktes »Negativ« der Wahrheit, das nur der Übertragung in sein Gegenbild bedarf, damit für ein unvoreingenommen über die Tiefe menschlicher Existenz reflektierendes Denken deutlich wird, daß ein gegen Verzweiflung wie Orientierungslosigkeit gleichermaßen gefeites Leben in Freiheit nur dann möglich ist, wenn der Mensch die Vorgegebenheit der eigenen Natur, das heißt seine Kreatürlichkeit mit allen Konsequenzen, annimmt und bejaht. 

Josef Pieper: Kreatürlichkeit

28. August 2013

Aus Gott geboren

Diese also "sind nicht aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren". Damit aber die Menschen aus Gott geboren würden, ist zuerst Gott aus ihnen geboren, denn Christus ist Gott, und Christus ist aus dem Menschen geboren. Er begehrte wenigstens eine Mutter auf Erden, weil er einen Vater bereits im Himmel hatte; geboren aus Gott ist der, durch den wir geschaffen werden sollten; geboren aus dem Weibe ist der, durch den wir neugeschaffen werden sollten. Wundere dich also nicht, o Mensch, daß du ein Kind [Gottes] wirst durch die Gnade, daß du aus Gott geboren wirst nach seinem Worte. Zuerst wollte das Wort selbst vom Menschen geboren werden, damit du sicher aus Gott geboren würdest und dir sagtest: Nicht ohne Grund wollte Gott vom Menschen geboren werden, und zwar aus keinem anderen als weil er mich einigermaßen für wert hielt, mich unsterblich zu machen und für mich sterblich geboren zu werden. Darum hat er, gleichsam damit wir uns nicht wunderten und entsetzten ob einer so großen Gnade, so daß es uns unglaublich erschiene, daß Menschen aus Gott geboren sind, den Worten: "sie sind aus Gott geboren", gewissermaßen dich sicher machend, noch beigefügt: "Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt". Was wunderst du dich also, daß Menschen aus Gott geboren werden? Schau hin auf den von Menschen geborenen Gott: "Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt". 

24. August 2013

Nicht gnostisch, nicht pelagianisch, sondern evangelistisch

In seiner Rede ging der Papst ... über die vorliegende schriftliche Fassung hinaus und nannte einige konkrete Beispiele, was er mit neuem Gnostizismus meint. Zu den lateinamerikanischen Bischöfen sagte Franziskus, daß er jene meint, die ihm nach der Wahl zum Papst begeistert gratulierten, um gleichzeitig sofort Forderungen an ihn zu richten:
„daß die Priester heiraten dürfen, daß Ordensschwestern zu Priestern geweiht werden und daß auch die wiederverheiratet Geschiedenen zum Kommunionempfang zugelassen sind“,
denn nur so sei die Kirche „modern“ und auf der Höhe der Zeit. Auf der Videoaufzeichnung der Rede ist nach der zweiten Forderung ein erheitertes Lachen der Bischöfe zu hören.

Die drei konkret vom Papst genannten Themen gehören zum zentralen Forderungskatalog progressiver Kirchenkreise, vor allem randständiger Gruppen mit schismatischem und häretischem Einschlag wie Wir sind Kirche oder die Pfarrer-Initiativen. Die Zurückweisung dieser Forderungen durch den Papst sind für die aktuelle Diskussion in der Kirche von nicht unerheblicher Bedeutung. Deshalb erstaunt die Unterschlagung dieser Passage in den offiziellen Fassungen der Rede. Es erstaunt umsomehr, weil Papst Franziskus zumindest einem Punkt, der Frauenordination, auch bei der improvisierten Pressekonferenz auf dem Rückflug nach Rom eine eindeutige Absage erteilte.

23. August 2013

Heroische Tugend


Von der fortitudo purgatoria, die für den Christen also im allgemeinen die höchste erreichbare Stufe der Tapferkeit bezeichnet, sagt Thomas: sie gebe der Seele die Kraft, nicht erschreckt zu werden durch den Eintritt in die höhere Welt (»propter accessum ad superna«). Das ist eine auf den ersten Blick sehr sonderbare Aussage. Sie wird aber verständlicher, wenn man bedenkt, daß nach der übereinstimmenden Erfahrung aller großen Mystiker am Anfang und wiederum vor der letzten Vollendung des mystischen Lebens die Seele wie in eine »dunkle Nacht« der Sinne und des Geistes ausgesetzt wird, in der sie sich wie ein Ertrinkender auf hoher See verlassen und verloren glauben muß. Johannes vom Kreuz, der doctor mysticus, sagt, in dem »dunklen Feuer« dieser Nacht, die ein wahrhaftes purgatorio sei und deren Qual jede selbstauferlegte Bußübung, die etwa ein Asket sich ausdenken möge, unsagbar übersteige, reinige Gott mit unerbittlich heilender Hand die Sinne und den Geist von den Schlacken der Sünde.

Der Christ, der in dieses Dunkel hineinzuspringen wagt und sich mit diesem Sprunge aus seiner eigenen, auf Sicherheit bedachten Hand entläßt und »losläßt« in die absolute Verfügung Gottes hinein, verwirklicht also in einem ganz strengen Sinn das Wesen der Tapferkeit; er geht um der Vollendung der Liebe willen auf das Furchtbare zu; er fürchtet sich nicht, um des Lebens willen sein Leben zu verlieren; er ist bereit, getötet zu werden vom Anblick des Herrn (»Kein Mensch schaut mich und bleibt am Leben.« Ex 33, 20).

Von hier aus wird erst der eigentliche Sinn der Ausdrucksweise »heroische Tugend« sichtbar: das Fundament dieser Stufe des inneren Lebens, deren Wesen die Entfaltung der Gaben des Heiligen Geistes ist, ist wirklich die Tapferkeit, die in einem besonderen Sinne und erstlich und namengebend »heroische« Tugend, und zwar die gnadenhaft überhöhte Tapferkeit des mystischen Lebens. Die große Meisterin christlicher Mystik, Teresa von Avila, sagt, zu den ersten Bedingungen der Vollkommenheit gehöre vor allem: Tapferkeit. In ihrer Selbstbiographie steht der sehr bestimmt formulierte Satz: »Ich behaupte, ein unvollkommener Mensch habe dazu, den Weg der Vollkommenheit zu gehen, mehr Tapferkeit nötig als dazu, plötzlich Märtyrer zu werden.«

Josef Pieper: Vom Sinn der Tapferkeit, S. 131f.