"Minimum quod potest haberi de cognitione rerum altissimarum, desiderabilius est quam certissima cognitio, quae habetur de minimis rebus."

"Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge zu gewinnen vermag, ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen"

(Thomas von Aquin: I, 1, 5 ad 1)

5. Januar 2016

Leiden als Lebenswert bejahen

Das Leiden gehört zum Leben, die Betrachtung des Leidens zur Ansicht über das Leben. Wie ich zum Leben stehe, das bedingt meine Leidensschau.

„Alles Leben ist Leiden“, sagt Schopenhauer, und ähnlich könnte Meister Eckehard gesprochen haben. Carl Jaspers hat recht, wenn er in seiner „Psychologie der Weltanschauungen“ das Leiden in den im Leben enthaltenen Grenzsituationen begründet sieht. Sie sind ja mit dem Menschenleben von selbst gegeben. Der Mensch stößt an sie. Er kann über sie nicht mehr hinaus und kann bloß daran vorbeikommen, sie lösen oder daran zerbrechen. Sie sind da, ohne daß der Mensch sie auf die Dauer unreflektiert, grundsätzlich damit einverstanden, hinnehmen könnte. Er muß sie lösen oder daran scheiten.

Dies macht den Menschen immer wieder darauf aufmerksam, daß er, wie sich Jaspers ausdrückt, den antinomischen Charakter der Welt und des Lebens voraussetzen muß, das heißt, er muß voraussetzen, daß mit allem Streben, Wollen, Leben, Elemente verbunden sind, die er nicht will. „Was ist das Leben?“, fragt Trude im Erziehungsroman des gleichen Namens. Es wird zur Antwort gegegben: „ … daß Mächte über den Menschen kommen, die er nicht will.“ So ist es. Es handelt sich also darum, ob der Mensch in den Antinomien stecken bleibt, oder ob er sie überwinden, zu Klarheit und Sicherheit durchstoßen, zur Lösung kommen kann. 


Jaspers ist der Ansicht: Wenn der Mensch meint, er könne sie lösen, dann beträfe das immer nur flache Widersprüche, die eben keine letzten Antinomien gewesen seien, aber die wahren blieben immer als unvereinbare Elemente. Das ist gerade die Antinomie: Ein letzter Gegensatz im Dasein, durch den die Existenz entzweit und getragen wird, derart, daß alles im einzelnen nur dann besteht, wenn diese gegensätzlichen Elemente zusammen sind. So hat aber Leben immer das Leiden in sich.


Es fragt sich nun, wie die Menschen auf die Antinomien reagieren. In der Natur de Sache liegt es, daß die auf dreierlei Weise geschehen kann: Die einen zerbrechen daran, die anderen flüchten davor und gehen Umwege, die dritten werden am Leiden groß. Ein vollsittliches Verhalten strebt immer danach, das Leiden als einen Lebenswert zu bejahen, es zu wagen und daran seine Kraft zu erproben.



P. Albert Auer: Leidenstheologie des Mittelalters, S. 9

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen