"Minimum quod potest haberi de cognitione rerum altissimarum, desiderabilius est quam certissima cognitio, quae habetur de minimis rebus."

"Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge zu gewinnen vermag, ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen"

(Thomas von Aquin: I, 1, 5 ad 1)

15. September 2013

Raus zum Gebet


Manchmal klopft eine arme Seele an seine Tür, um ihm zu sagen, dass er sie nicht retten kann. Dass sein Glaube falsch, seine Hoffnung irre und sein Gott machtlos ist. Die arme Seele flucht, wütet, wünscht die Welt zum Teufel.
Wie rettet man eine Seele? Bruder Agustino, dessen Welt die Bronx und dessen Mission die Rettung der Hoffnungslosen ist, hat immer den richtigen Bibelvers parat, wenn es gilt, ein paar Hundert Jugendliche aus der gefürchtetsten Nachbarschaft New Yorks für Gott zu begeistern. Aber manchmal fehlen auch ihm die Worte. An jenem Abend zum Beispiel, als draußen vor der kleinen Backsteinkirche ein zorniger Mann steht und ankündigt, er werde seine Familie erschießen. Die Frau, die Tochter, die Schwester, den Vater, die Mutter, einfach alle. Okay, ausgenommen seinen Sohn. Aber sonst alle. Auch sich selbst.
Aus dem Mann spricht kalter Entschluss. Übermorgen bekomme er Geld, dann kaufe er eine Waffe und: Wumm! Wütend fügt er noch hinzu: "Es gibt nichts, was du dagegen tun kannst!"
Bruder Agustino glaubt das sofort. Deshalb schweigt er, steht einfach da in seiner grauen Kutte, am Gürtel das Kreuz, barfuß in Sandalen. Eine Vision aus einem versunkenen Jahrhundert. Als Ordensmitglied ist Agustino Torres damals noch neu in St. Crispin, dem Brüderhaus neben der kleinen Kirche, 420 East 156th Street. Aber er kennt die verzweifelte Gewalt, weil er sie als Jugendlicher zu Hause in Texas und drüben in Mexiko oft gesehen hat. Dagegen kommt man mit den Zehn Geboten nicht an. Also schweigt er. Obwohl er doch in die Bronx gekommen ist, um die Ärmsten nicht nur zu speisen, sondern zu trösten. Das ist der franziskanische Auftrag, seit 800 Jahren.
Bruder Agustino wagt an jenem Abend nur, den Mörder in spe zu fragen: Warum? Und hört ihm zu, denn solange der andere redet, wird er nicht töten. Spätnachts schließlich bietet Agustino dem Mann an, er möge morgen wiederkommen. Kein Vorwurf, keine Bekehrung. Es soll gelassen klingen. Doch kaum ist der Unglücksmensch weg, hämmert der Franziskaner selber an Türen, um seine Brüder zu wecken: Raus zum Gebet! 
Hier gehts zum ganzen Artikel  Quelle: Die Zeit


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