"Minimum quod potest haberi de cognitione rerum altissimarum, desiderabilius est quam certissima cognitio, quae habetur de minimis rebus."

"Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge zu gewinnen vermag, ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen"

(Thomas von Aquin: I, 1, 5 ad 1)

5. September 2015

Lebensgesetz - Kindsein


Haben wir noch dieses Staunen, oder sind wir auch alt geworden darüber, echt stoisch, daß wir über nichts mehr erstaunt sein können? Das wäre es. Würden wir dieses Staunen haben, auf einmal würde der Nebel heruntergehen von der Seele und auf einmal käme dieses namenlose Glück in die Seele, diese namenlose Ruhe, weil GOTT da ist! Dann würden wir sehen, daß auch wir die Augenblicke der unmittelbaren Begnadigung, der unmittelbaren GOTT - Heimsuchung haben. In dem Augenblick, wo ich das erste Mal GOTT einmal dafür gedankt habe, - in dem Moment schließt ER das Tor nicht mehr zu. Es hat jeder solche Augenblicke, muß nichts Besonderes sein.



Ein Panzer-Offizier erzähl : Es war ein Ort im Niemandsland. Die Kirche stand noch da. Ein Spähtrupp ist vorgegangen und hat sich dort festgesetzt. Ein Leutnant ist in die Kirche hineingegangen, wo auch noch die Orgel war. Und trotz strengem Verbot konnte er sich nicht mehr halten, er ist hinaufgegangen, hat seinen Stahlhelm heruntergetan und hat einen alten Kirchenchoral gespielt. Der ganze Spähtrupp hat auf den Krieg vergessen, alle sind hinein und haben gelauscht, einem standen die Tränen im Auge. Es war plötzlich zwischen zwei Fronten ein Feiertag. Dann ist der Leutnant herunter, hat den Stahlhelm aufgesetzt - und zwei Stunden darauf war er tot. Ja, das ist so ein Erlebnis, durch die Umstände hingestellt.

Und Sie glauben, daß wir keine solche Seele haben, der GOTT nahekäme? "O, wie oft wollte ICH dich rufen, wie die Henne ihre Küchlein sammelt. Du aber hast nicht gewollt. Du warst zu hochmütig, hast anderes zu tun gehabt, hast gedacht, das ist Einbildung und alles Mögliche." [Lk 13, 34]

Und das nimmt der Herr so übel, diese Sünde, diese unmittelbare gegen IHN, die nichts mehr mit dem Ethischen zu tun hat. Aber das, wogegen wir notorisch sündigen, ist eine Sünde unmittelbar gegen IHN, und die verzeiht GOTT so schwer; deshalb muß ER mich noch lange nicht verdammen, aber ER kommt nicht mehr. Ach, "Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder!" Glauben Sie, daß ER einen Isaias, Ezechiel und Moses braucht und Sein Kind, dem ER ein unauslöschliches Merkmal eingeprägt hat, das schätzt ER nicht so ein?

Ach, das ist die Paradoxie der GOTTheit, das ist die Paradoxie GOTTES, daß ER mich braucht, daß ER mich sucht. Wissen Sie, das ist noch viel staunenswerter als die GOTTES–Idee, das Absolute. Das kann man sich bis zu einem gewissen Grad erdenken. Aber, daß ER mich sucht, daß ER mich will, das ist der Unterschied. Schauen Sie, seine Pflicht erfüllen und GOTT suchen als Sein Kind - in dem Augenblick, wo mir das aufgegangen ist, in dem Augenblick, wo ich mein Kinder-Staunen wiedergewonnen habe, wo ich alle Blasiertheit habe abgelegt, in dem Augenblick bekommt mein religiöses Leben einen ganz neuen Rhythmus.

In dem Augenblick werde ich sehen, daß mein Leben tatsächlich von Wunder zu Wunder geht, und daß es wirklich einfach E R ist, unmittelbar, daß ich noch lebe, daß ich nach  IHM verlange, und so wie ich jetzt bin, und daß ich getrost der Anschauung GOTTES entgegen-sehen kann. Ich müßte das wieder haben, was das Kind hat. Ein Kind hat bekanntlich ein zweites Leben. Es ist sehr schwer, in dieses zweite Leben hineinzukommen, das kann eigentlich nur eine Mutter. Sonst ist das Kind in seinem zweiten Leben vollkommen allein und darum mißdeuten wir so vieles, weil wir es nicht mehr können.

So haben wir ein zweites Leben und das schlagen wir tot. Und dieses zweite Leben wäre dieses Kindsein GOTT gegenüber. In dem Moment, wo der Mensch das hat, dann kommt ihm GOTT wirklich nahe und er lebt aus GOTT, aber nicht mehr pflichtmäßig in einem Gesetz, sondern als Lebensgesetz. Er kann sich GOTT und CHRISTUS und seine Erlöstheit überhaupt nicht mehr wegdenken.

VB 1959

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