"Minimum quod potest haberi de cognitione rerum altissimarum, desiderabilius est quam certissima cognitio, quae habetur de minimis rebus."

"Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge zu gewinnen vermag, ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen"

(Thomas von Aquin: I, 1, 5 ad 1)

24. August 2010

virginitas I












Im Anschluß an den letzten Text, in zwei Teile aufgeteilt nun Gedanken von Josef Pieper zur Jungfräulichkeit.  Zu finden in seinem Buch "Zucht und Maß".

Die hohe und wahrhaft fürstliche Geneigtheit, für die prächtige Versichtbarung eines erhabenen Gedankens in festlicher Feier, in Bildwerk oder Bau große Ausgaben zu machen – diese Tugend (denn es ist eine Tugend!) nannte das Mittelalter: magnificentia; wir vermögen sie heute nicht mehr mit einem einzigen Wort zu bezeichnen. Wie aber die magnificentia sich verhalte zu der ordentlichen Freigebigkeit, die im täglichen Gefüge von Bedürfen und Erbitten ihren Ort hat, so verhalte sich, sagt Thomas von Aquin, zur Keuschheit die Jungfräulichkeit.


Fast möchte man sagen, auch für diese fehle uns heute das rechte deutsche Wort. Denn der Name »Jungfräulichkeit« – abgesehen davon, daß wir es nur schwer ertragen, ihn auf den Jüngling und den Mann bezogen zu sehen – bezeichnet im Sprachgebrauch mehr den bloßen Zustand der Unberührtheit und der Unvermähltheit denn die aus Gnade und Entschluß geborene Tugend dessen, der um des Herrn willen für immer auf die Erfahrung der Geschlechtslust verzichtet hat. – Wieder drängt sich uns der Gedanke auf, solche Wortnot müsse darin ihre letzte Wurzel haben, daß die Sache selbst dem Bewußtsein nicht tief genug gegenwärtig geworden oder geblieben sei (was wiederum, ein wahrer circulus vitiosus, mit dem Mangel an lebendiger Sprachkraft, zu ergreifen und zu behalten, zusammenhängen mag). Wie dem auch sei: wenn hier in aller Kürze das Wesen der Tugend der virginitas unter dem Namen »Jungfräulichkeit« dargelegt wird, so ist es notwendig, sich jene Nicht-Übereinstimmung mit dem Sprachgebrauch gegenwärtig zu halten und überdies mancherlei Ungemäßheiten der Redeweise in Kauf zu nehmen.

Dies ist das erste: Jungfräulichkeit ist nicht eine Tatsache, sondern eine Tat; nicht ein Zustand, sondern eine Entscheidung. Die bloße Unberührtheit, als psychisches (erst recht als rein physisches) Faktum, ist nicht das, wodurch Jungfräulichkeit als Tugend konstituiert wird, mag auch im übrigen diese Unberührtheit der Siegespreis kämpferischer Keuschheit sein. Jungfräulichkeit als Tugend wird begründet durch den Entschluß, noch eigentlicher gesprochen durch das Gelöbnis, für immer sich der geschlechtlichen Vereinigung und der ihr zugeordneten Lust zu enthalten.

Und auch dies ist noch nicht alles. Solch ein Entschluß könnte aus vielerlei Gründen entspringen, zum Beispiel aus der widerchristlichen Auffassung, jene Enthaltung sei nichts weiter als eben eine Enthaltung vom Bösen. – Zweierlei muß noch zu dem Entschluß hinzukommen oder vielmehr in ihn eingehen und ihn ganz durchtränken.

Erstens: »Nicht weil sie Jungfräulichkeit ist, wird sie geehrt, sondern weil sie Gott geweiht ist«; nicht seiner selbst wegen ist der Entschluß, in geschlechtlicher Enthaltsamkeit zu leben, des Lobes würdig, er wird erst »lobenswert gemacht (laudabile redditur) durch seinen Zielsinn, sofern er nämlich darauf zielt, frei zu machen für die göttlichen Dinge«. Es wäre gut, wenn nicht nur der Nicht-Christ, sondern auch der Christ diese beiden klaren Sätze der größten Lehrer der Kirche, Augustins und Thomas’, stets im Gedächtnis behielte; es wäre gut, wenn er im Gedächtnis behielte, daß also eine Jungfräulichkeit, welche diesen Sinn, das Freisein für Gott und die göttlichen Dinge, nicht verwirklicht, im gleichen Maße eben sinnlos wird, jedenfalls die Würde verliert, um derentwillen sie von der Kirche geehrt wird. Gewiß kann mancherlei schicksalhafte Notwendigkeit oder auch ein sittlicher Grund einen Menschen dazu zwingen oder bewegen, unvermählt zu bleiben; und selbstverständlich kann solcher Notwendigkeit und solcher Wahl auch der Glanz eines Gott dargebrachten Opfers zuteil werden. Jede rein religiös gemeinte Wertschätzung der Unvermähltheit aber, die nicht auf jenen letzten und eigentlichen Grund – das völlige Freisein für Gott – sich stützt, rückt notwendig in die Nähe des Manichäismus, der in der bloßen Tatsache der Unvermähltheit selbst das Gute sieht – und also in der Ehe etwas Böses.


Fortsetzung

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