"Minimum quod potest haberi de cognitione rerum altissimarum, desiderabilius est quam certissima cognitio, quae habetur de minimis rebus."

"Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge zu gewinnen vermag, ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen"

(Thomas von Aquin: I, 1, 5 ad 1)

8. Dezember 2010

Erfahrung des Bösen - Immaculata

Das Geheimnis der Unbefleckten Empfängnis Mariens, das wir heute feierlich begehen, ruft uns zwei grundlegende Wahrheiten unseres Glaubens in Erinnerung: vor allem die Erbsünde und dann den Sieg der Gnade Christi über sie, einen Sieg, der auf wunderbare Weise in der allerseligsten Jungfrau Maria aufscheint. Die Existenz dessen, was die Kirche »Erbsünde« nennt, ist leider, wenn wir um uns herum und vor allem in uns hineinblicken, von erdrückender Offensichtlichkeit. Die Erfahrung des Bösen ist in der Tat so greifbar, daß sie sich von alleine aufdrängt und in uns die Frage aufkommen läßt: Woher stammt es? Besonders für einen Gläubigen stellt sich die Frage in einem noch tieferen Sinne: Wenn Gott, der die absolute Güte ist, alles geschaffen hat, woher kommt das Böse? Die ersten Seiten der Bibel (Gen 1–3) antworten gerade auf diese grundlegende Frage, die jede menschliche Generation anspricht, mit dem Bericht von der Schöpfung und dem Fall der Ureltern: Gott hat alles ins Sein gerufen, insbesondere hat er den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen; er hat nicht den Tod geschaffen, sondern dieser ist durch den Neid des Teufels in die Welt gekommen (vgl. Weish 1,13–14; 2,23–24), der sich zunächst Gott widersetzt und dann auch die Menschen getäuscht hat, indem er sie zur Auflehnung verführte. Es ist das Drama der Freiheit, das Gott aus Liebe bis ins Letzte akzeptiert; dabei jedoch verheißt er, daß ein von der Frau geborener Sohn kommen werde, der die alte Schlange am Kopf treffen wird (Gen 3,15).
Von Anfang an also hat, wie Dante sagen würde, »der ew’ge Ratschluß« ein »vorherbestimmtes Ziel« (Paradies, XXXIII,3): die Frau, die von der Vorsehung dazu bestimmt ist, Mutter des Erlösers zu werden, die Mutter dessen, der sich bis zum äußersten erniedrigt hat, um uns zu unserer ursprünglichen Würde zurückzuführen. Diese Frau hat in den Augen Gottes von jeher ein Antlitz und einen Namen: »die Begnadete« (Lk 1,28), wie der Engel sie nannte, als er sie in Nazaret aufsuchte. Sie ist die neue Eva, Braut des neuen Adam, die dazu bestimmt ist, Mutter aller Erlösten zu sein. So schrieb der hl. Andreas von Kreta: »Maria, die ›Theotókos‹ (die Gottesgebärerin), die gemeinsame Zuflucht aller Christen, ist die erste gewesen, die von dem uranfänglichen Fall unserer Ureltern befreit worden ist« (Homilie IV zu Weihnachten, PG 97, 880 A). Und die heutige Liturgie sagt, daß Gott »im Hinblick auf den Erlösertod Christi […] die selige Jungfrau Maria schon im ersten Augenblick ihres Daseins vor jeder Sünde bewahrt [hat], um [seinem] Sohn eine würdige Wohnung zu bereiten« (Tagesgebet).

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