"Minimum quod potest haberi de cognitione rerum altissimarum, desiderabilius est quam certissima cognitio, quae habetur de minimis rebus."

"Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge zu gewinnen vermag, ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen"

(Thomas von Aquin: I, 1, 5 ad 1)

14. Dezember 2010

gratias agere

Thomas von Aquin lehrte, daß die Dankbarkeit eine komplexe menschliche Wirklichkeit sei. ... Der Begriff "Dankbarkeit" setzt sich zusammen aus Teilbegriffen und verschiedenen Graden des Verständnisses. Zuerst finden wir das "Anerkennen" (ut recognoscat) des erhaltenen Gutes vor; der zweite Teilbegriff ist das Loben und die Danksagung (ut gratias agat); drittens gibt es den Aspekt der "Rückerstattung" (ut retribuat), einer Art Kompensation, soweit diese möglich ist in zeitlich und örtlich günstigen Umständen (II-II, 107, 2, c).
Diese scheinbar so einfache Lehre, kann unschwer festgestellt werden in den verschiedenen Ausdrucksformen derer die Sprachen sich bedienen um Dankbarkeit auszudrücken; wobei jede Sprache nur einen der vielfältigen Aspekte der Wirklichkeit des Dankes betont.
Einige Sprachen drücken die Dankbarkeit auf dem Niveau des ersten Grades aus: indem die "Anerkennung" des Begnadigten deutlich herausgestellt wird. Übrigens ist "Anerkennung" (wie etwa im Französischen "reconnaissance") eigentlich ein anderes Wort für Dankbarkeit. In diesem Zusammenhang ist es hochinteressant die Etymologie zu beachten: In der englischen Tradition stammen to thank (danken) und to think (denken) ursprünglich, und durchaus nicht zufällig, vom selben Ausdruck. Über die etymologischen Definition des to thank, liest man im Oxford English Dictionary ganz klar: "The primary sense was therefore thought". Im deutschen ist ursprünglich das "Danken" ebenfalls ein "Denken".
Das alles ist ja schließlich auch sehr sinnvoll, weil, wie jeder weiß, daß nur der dankbar ist, der wirklich denkt. Man ist nur dann dankbar, wenn man die Freiheit des Wohltäters erwägt, bedenkt, und ernsthaft unter Betracht zieht. Wenn dieses Bedenken nicht geschieht, kommt es (bei dem Wohltäter) zu der absolut gerechtfertigten Beschwerde: "Was für eine Gedankenlosigkeit (Undankbarkeit, Gleichgültigkeit)!"
Daran liegt es auch, daß Sankt Thomas - indem er darauf hinweist, daß das absolut negative, die Verneinung des niedrigsten positiven Grades ist (die letzte Einfahrt rechts, ist für den, der von der entgegengesetzten Richtung kommt, die erste Einfahrt links...) - behauptet, daß die Gedankenlosigkeit (Rücksichtslosigkeit), das Ignorieren, die höchste Undankbarkeit zu bedeuten hat: "jener Kranke, der seine eigene Krankheit nicht in Rücksicht nimmt, möchte im Grunde gar nicht geheilt werden".
Der Arabische Dankbarkeitsausdruck Shukran, shukran jazylan! befindet sich unmittelbar in jenem zweiten Niveau, des Lobes gegenüber einem Wohltäter und einer erhaltenen Gabe.
Andererseits heißt die lateinische, relativ komplexe, Dankbarkeitsform gratias ago, die wir im Italienischen und Spanischen als "grazie" und "gracias" wiederfinden. Sankt Thomas behauptet ( I-II, 110, 1) daß der Kernbegriff der "Gunst" oder "Gnade" drei Dimensionen einschließt:
1) "Gnade erhalten oder begnadigt zu werden"; "Gefallen" oder "Liebe eines anderen finden"; der uns etwas Gutes tut;
2) "Gnade" deutet auf eine Gabe hin, etwas nicht verdientes, umsonst gegebenes, ohne irgendein Verdienst des Begnadigten.
3) Die Rückvergütung oder "Begnadigung" von Seiten des Begnadigten.
Im Traktat De Malo (9,1), wird eine vierte Sinngebung angeführt: gratias agere - das Lob; wer daran glaubt, daß das erhaltene Gute von einem anderen kommt, soll loben.
Von der oben aufgeführten Übersicht - der Dankbarkeitsausdrücke auf englisch, deutsch, französisch, spanisch, italienisch, lateinisch und arabisch - hebt sich der ungemein tiefgründige Charakter der Portugiesischen Redewendung "obrigado" ab. Diese warmherzige Form ist die einzige, die ganz klar in die Art der Dankbarkeit , auf die sich Sankt Thomas bezieht (die vom dritten Niveau also), verfällt: die des tiefsten Gebundenseins (ob-ligatus), der Verpflichtung, der Pflicht dem Anderen rückzuvergüten.
Somit können wir auch den Reichtum unter Betracht ziehen, der sich in der japanischen Dankesformel verbirgt. "Arigatô" enthält ursprünglich folgenden Sinn: "Existieren ist nicht einfach", "Das Leben ist hart", "Einmalig", "Vorzüglich (einmalige Vorzüglichkeit)".
Die zwei letzten o.g. Sinne sind verständlich: in einer Welt, in der die allgemeine Tendenz ist, daß alles nur an sich denkt; wo sich die Verhältnisse, wenn überhaupt, von der strikten und unpersönlichen Rechtsprechung regulieren lassen; treten die Qualitätsbezeichnungen Vorzüglichkeit und Einmaligkeit als Charakteristika der Gabe deutlich hervor. Andererseits hat: "Existieren ist nicht einfach" und "Das Leben ist hart", auf dem ersten Blick, nichts mit Dankbarkeit zu tun. Doch Sankt Thomas lehrt uns (II-II, 106, 6), daß die Dankbarkeit - wenigstens im Vorhaben – die erhaltene Gabe übertreffen soll. Und daß es Verschuldungen gibt, die von Natur aus unbezahlbar sind: sowohl von einem Menschen dem anderen, seinen Wohltäter, gegenüber, als auch und besonders Gott gegenüber: "Wie soll ich dem Herrn vergelten – lesen wir im Psalm 115 – all seine Wohltat, die er an mir tut?"
Solche Situationen, der unbezahlbaren Schuld – die so häufig bei denen, die ein Gefühl für Gerechtigkeit haben, auftritt –empfindet der dankbare Mensch als peinlich und tut alles mögliche (quidquid potest), bis er schließlich ans excessum, das sich immerzu Ungenügen weiß, anlangt (cfr. III, 85, 3 ad 2).
Arigatô weist also hin auf das dritte Niveau der Dankbarkeit, das die Besinnung dessen bedeutet, wie schwer es sein kann, zu existieren (von dem Moment an, da man einen Gefallen erhalten hat, und zwar unverdienterweise und, und daher, eine Rückvergütung schuldig ist, die niemals beglichen werden kann...).

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