"Minimum quod potest haberi de cognitione rerum altissimarum, desiderabilius est quam certissima cognitio, quae habetur de minimis rebus."

"Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge zu gewinnen vermag, ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen"

(Thomas von Aquin: I, 1, 5 ad 1)

4. Januar 2013

Musik und Stille



Musik und Stille – diese zwei Dinge, so sagt C. S. Lewis, seien in der Hölle nicht zu finden. Einigermaßen überrascht denkt man beim ersten Lesen: Musik und Stille, das ist eine merkwürdige Verknüpfung. Doch dann leuchtet einem die Sache mehr und mehr ein. Offenbar ist ja mit silence, Schweigen, Stille, etwas anderes gemeint als jene ungute Wortlosigkeit, die auch schon in der »hiesigen« gemeinsamen Existenz ein Stück Verdammnis ist. Und was die Musik betrifft, so fällt es einem nicht schwer, sich vorzustellen, daß im Inferno an ihre Stelle der Lärm tritt, der »Höllenlärm«. – Aber dann zeigt sich unversehens noch eine andere Seite des Sachverhalts, daß nämlich Musik und Stille in der Tat auf einzigartige Weise einander zugeordnet sind. Wie der Lärm zugleich mit der Stille jede Verständigungsmöglichkeit zerschlägt, gleichermaßen Reden und Hören (weswegen, nach einem Wort von Konrad Weiß, inmitten gerade der lauten Zeit eine grenzenlose Verstummtheit herrschen kann), so bringt, obwohl ja beileibe nicht lautlos, die Musik selbst, wofern sie mehr ist als bloße Unterhaltung oder rauschhaft rhythmisierter Lärm, eine bestimmte Art von Stille erst hervor. Sie macht ein hörendes Schweigen möglich – hörend nicht allein auf Klang und Melodie, wie eben jeder schweigen muß, der etwas »Lautendes« erfassen will, sei dies nun der Herzschlag des Patienten oder ein menschliches Wort. Nein, weit darüber hinaus, wird durch die Musik ein größer dimensionierter Raum der Stille aufgetan, worin, wenn es mit glücklichen Dingen zugeht, dann eine Wirklichkeit vernehmlich werden mag, die höheren Ranges ist als die Musik.

Josef Pieper (1975)



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