"Minimum quod potest haberi de cognitione rerum altissimarum, desiderabilius est quam certissima cognitio, quae habetur de minimis rebus."

"Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge zu gewinnen vermag, ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen"

(Thomas von Aquin: I, 1, 5 ad 1)

5. Januar 2013

Schwermut


Zu 1 Joh 3, 20: GOTT weiß alles!

Die schlimmste Anklage des Herzens aber ist jene, die aus der Schwermut aufsteigt, und vielleicht ist sie es, die Johannes eigentlich meint. Sie ist ebenso unfaßbar, wie bedrängend. Sie sagt nicht: Das hast du getan, oder: das war verkehrt, sondern: alles ist verfehlt. Deswegen ist der Verstand gegen sie so wehrlos, denn um erwidern zu können, braucht er eine deutliche Aussage; hier aber ist alles unbestimmt … Auch der Wille kann wenig tun, denn alles scheint versperrt, und das Wollen ist gelähmt … In dieser Anklage verlieren die Dinge ihren Sinn; nichts schein die Mühe zu lohnen. Kein Mensch scheint etwas von einem zu halten; jeder feindlich gesinnt zu sein oder gleichgültig oder was sonst hinter den nicht mehr lesbaren Gesichtern lauern mag …
In der Schwermut geht vieles durcheinander: ortlose Sehnsucht; Gefühl, das Wichtigste verloren zu haben; Traurigkeit, nicht über etwas Bestimmtes, sondern Traurigkeit überhaupt; dunkle Flut, in der alles untergeht, was schön und freudig und hoffnungsvoll ist. Alles wird zu einer inneren Schwere, die jede geistige Initiative lähmt, ja bis zum Gefühl körperlicher Last gehen kann.
In diese Stunde redet das johanneische Wort – gerade deshalb, weil es nicht prüft und unterscheidet, weder Gründe noch Möglichkeiten anbietet, die in der dunklen Wirrnis des schwermütigen Zustandes sofort untergehen würden. Eine Nähe bietet sich an, eine Hand, die den Schwermütigen von sich selbst wegführt und freier macht.“
Romano Guardini: Johanneische Botschaft, S. 88


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen