Zu 1 Joh 3, 20: GOTT weiß alles!
„Die
schlimmste Anklage des Herzens aber ist jene, die aus der Schwermut
aufsteigt, und vielleicht ist sie es, die Johannes eigentlich meint.
Sie ist ebenso unfaßbar, wie bedrängend. Sie sagt nicht: Das hast
du getan, oder: das war verkehrt, sondern: alles ist verfehlt.
Deswegen ist der Verstand gegen sie so wehrlos, denn um erwidern zu
können, braucht er eine deutliche Aussage; hier aber ist alles
unbestimmt … Auch der Wille kann wenig tun, denn alles scheint
versperrt, und das Wollen ist gelähmt … In dieser Anklage
verlieren die Dinge ihren Sinn; nichts schein die Mühe zu lohnen.
Kein Mensch scheint etwas von einem zu halten; jeder feindlich
gesinnt zu sein oder gleichgültig oder was sonst hinter den nicht
mehr lesbaren Gesichtern lauern mag …
In
der Schwermut geht vieles durcheinander: ortlose Sehnsucht; Gefühl,
das Wichtigste verloren zu haben; Traurigkeit, nicht über etwas
Bestimmtes, sondern Traurigkeit überhaupt; dunkle Flut, in der alles
untergeht, was schön und freudig und hoffnungsvoll ist. Alles wird
zu einer inneren Schwere, die jede geistige Initiative lähmt, ja bis
zum Gefühl körperlicher Last gehen kann.
In
diese Stunde redet das johanneische Wort – gerade deshalb, weil es
nicht prüft und unterscheidet, weder Gründe noch Möglichkeiten
anbietet, die in der dunklen Wirrnis des schwermütigen Zustandes
sofort untergehen würden. Eine Nähe bietet sich an, eine Hand, die
den Schwermütigen von sich selbst wegführt und freier macht.“
Romano
Guardini: Johanneische Botschaft, S. 88
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