Immer
wenn eines der großen überlieferten Feste des Jahres zu feiern ist,
beschleicht uns, eingestanden oder nicht, eine gewisse Verlegenheit.
Zwar sind wir zugleich versucht, uns von einem sonoren und
wohlgelaunten Allerweltsoptimismus einreden zu lassen, das habe
nichts weiter zu bedeuten. Dennoch bleibt ein nicht zu
beschwichtigender Rest. Und es wäre in der Tat nicht gut, sich
völlig beschwichtigen zu lassen und den Sachverhalt einfach zu
ignorieren oder leichten Herzens über ihn hinwegzugehen.
Wer
aber hier Widerstand zu leisten versucht; wer also darangeht, diese
Verlegenheit ins Auge zu fassen, über sie ins reine zu kommen und
sie beim Namen zu nennen, dem zeigt es sich bald, daß von zwei
Dingen geredet werden müßte, die zwar miteinander zu tun haben,
aber nicht identisch sind.
Erstens
steht zur Rede, daß uns die unmittelbar praktische Kenntnis davon,
wie überhaupt ein Fest zu feiern sei, zu entgleiten scheint. Sobald
die Notwendigkeit, den Lebensunterhalt herbeizuschaffen, uns nicht
mehr in Pflicht nimmt, wissen wir nicht, was tun: dies sei
schlichthin »die Wahrheit« – so steht es zu lesen in den
Tagebüchern
von André Gide. Er notiert das keineswegs klagend oder anklagend,
sondern mit gelassener Aufrichtigkeit, als kühler Diagnostiker. Und
wer vermöchte zu leugnen, daß seine Kennzeichnung die
durchschnittliche Realität genau trifft – wie jedermann sie immer
wieder einmal an sich selbst erfährt, wenn er, zum Beispiel, am
Morgen eines Festtages erwacht.
Nehmen
wir an, dieser Jedermann habe keinen Schlaf nachzuholen, und es gebe
auch keine liegengebliebene Korrespondenz. Nein, das Einzige, das »zu
tun« wäre, sei eben die Begehung des Festes, dies allein, aber
gerade dies. Setzen wir ferner voraus, der Mann sei einsichtig und
unbestechlich genug, sich einige ansonsten nicht ganz unübliche
Ausflüchte zu verbieten; er hat sich also etwa mit sich selbst
darüber verständigt, den Umtrunk, den Schmaus und die Ausfahrt ins
Grüne nicht schon für ein zulängliches und eigentliches Begängnis
des Festes zu halten, für ein willkommenes Beiwerk vielleicht, für
ein sinnvolles Ornament, ja – aber nicht für die Sache selbst. –
Was aber ist die Sache selbst? Was heißt es, einen Feiertag festlich
begehen? Wie macht man das?
Jene
Verlegenheit aber betrifft nicht allein das Wie von Feiern überhaupt.
Vielmehr entspringt sie – zweitens – auch daraus, daß ein
lebendiges Wissen vom inhaltlichen Sinn unserer großen Festtage
weithin nicht mehr vorhanden ist. Was eigentlich wird gefeiert – an
Weihnachten, an Ostern? Es ist letzthin durch einige Enquêten
beunruhigend genug an den Tag gebracht worden, wie ratlos die
durchschnittlichen Antworten sind – und welche zum mindesten
absonderliche und sinistre Sache sich also zuträgt, wenn die
Festtage dennoch »gehalten« werden.
Und
nun gar: was wird an Pfingsten gefeiert, am »Fest des Geistes«? –
Wenn wir genauer zu sagen versuchen, was eigentlich »Geist« sei, so
pflegen wir zunächst den Gedanken an seine Unstofflichkeit, an das
Körperlose und Nicht-Materielle zur Hand zu haben. Wohingegen die
Alten den Geist vor allem verstanden haben als die Kraft, in
Berührung zu kommen mit dem Insgesamt der Welt. Hierdurch, so sagen
sie, sei ein geistiges Wesen ausgezeichnet: daß sein Lebensraum die
Wirklichkeit im Ganzen sei. Leben des Geistes besagt demnach soviel
wie: angesichts der Welt im Ganzen existieren, vis-à-vis
de l’univers.
Geistiges Leben im uneingeschränkten Wortverstand geschieht, heißt
das, einzig da, wo das Ganze der Wirklichkeit zu Gesicht kommt –
nicht die gesamte Vielfalt des Einzelnen, sondern der
Sinnzusammenhang, der »inbildliche Grund« von allem, was ist.
Wann
aber gerät es uns, solchermaßen das Ganze zu berühren? Nicht schon
jedenfalls, wenn wir fixierenden Blickes die Verwirklichung von
Zwecken betreiben, etwa die »Herbeischaffung des Lebensunterhalts«
im weitesten Sinn dieses Wortes. So viel Intelligenz, Erfindungsgabe,
Disziplin und Ernst hierzu natürlich vonnöten ist – keiner der
großen Zeugen der abendländischen Überlieferung, nicht Platon,
nicht Aristoteles, nicht Augustin, nicht Thomas würde dies schon
»geistiges Leben« genannt haben (was beileibe nicht bedeutet, daß
sie der Leistung des technischen Menschen ihren Respekt, ja ihre
Bewunderung versagt haben würden). Die Tagebuchnotiz von André Gide
weist also nicht allein auf das Unfestliche eines ausschließlich
»praktischen« Lebens hin, sondern auch auf dessen gefährliche Nähe
zum Ungeist. Es zeigt sich hier, mit einem Wort, daß Fest und Geist
einander auf besondere Weise zugeordnet sind.
(Fortsetzung folgt bald)
(Fortsetzung folgt bald)
J. Pieper: Eine Pfingstbetrachtung (1955)
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