Die
katholische Kirche ist lustfeindlich,
frauenfeindlich, undemokratisch, hierarchisch unterdrückend,
veraltet, romzentrisch, überhaupt institutionell«: So in etwa wird
geredet, wenn die Sprache auf diese Kirche kommt ...
Vielmehr
sticht zunächst bloß das eigenartige Phänomen ins Auge, dass man
für solche Behauptungen keine Argumente mehr benötigt. Wer so
spricht, dem wird dennoch fast in jedem beliebigen Kreis Zustimmung
zuteil werden. Vor allem bei vielen kirchlichen Gruppierungen sind
das inzwischen In-Bemerkungen, die sozusagen zum Gattungsbestand
gehören und Totemfunktion haben. Das wird an der geradezu
urtümlichen Heftigkeit deutlich, mit der geringste Abweichungen von
diesem Kanon streng sanktioniert und gegebenenfalls mit Ausstoßung
aus der Gruppe der Wohlmeinenden geahndet werden. Warum aber um alles
in der Welt legen selbst Kirchenmitglieder auf die Einhaltung dieser
Negativklischees einen so großen Wert? Masochistische
Selbstbestrafungstendenzen? Doch diese Menschen machen einen
ausgesprochen gesunden, geradezu berstend normalen Eindruck!
Wer
nach anderen Gründen sucht, der stößt auf ein interessantes
sozialpsychologisches Phänomen. Während Katholiken noch vor 40
Jahren eher genau gegenteilige Auffassungen vertraten und jeden
Abweichler ausstießen - wehe, jemand sagte etwas gegen den Papst! -,
ist das strenge konservative Festhalten an einem Überzeugungskodex
heute unverändert, nur der Inhalt hat sich ins Gegenteil verkehrt.
Da sich aber die Begriffe konservativ und progressiv unsinnigerweise
über den Inhalt definieren, halten sich heutige Vertreter der oben
genannten Klischees für mutige Progressive, während sie doch formal
die strikt konservative Haltung ihrer Vorväter unverändert an den
Tag legen. Diese unreflektierte Konservativität der »Progressiven«
ist eines der Grundprobleme der heutigen Kirche. Denn die
Selbstdefinition übersieht die unbewegliche und
veränderungsfeindliche Starrheit der inhaltlich »progressiven«
Positionen, die ganz im Trend liegen und damit keinerlei vitales
Innovationspotenzial enthalten. Hierhin gehört auch die so oft
festzustellende erstaunliche Intoleranz der »Toleranten«, denn wer
sich selbst als tolerant definiert, läuft Gefahr, für die eigene
Intoleranz blind zu werden. Wer also behauptet, das traditionelle
katholische Milieu gebe es nicht mehr, der hat vielleicht in der
falschen Richtung gesucht. Spätestens
der gutbürgerliche Habitus dieser so genannten Progressiven verrät,
dass man es hier eben keineswegs mit Umstürzlern zu tun hat.
M.
Lütz: Der blockierte Riese, S. 22f
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