Der Mangel, der unserem Christentum heute anhaftet - anders gewendet, der letzte Grund, warum ihm heute die natürliche Stoßkraft fehlt und der "Sauerteig" zu ermatten scheint - für diese Tatsache gibt es wohl nur eine einzige Erklärung: Wir haben das Gespür für das Wesen verloren. Wir sind Spätlinge des Geistes in der Philosophie nicht weniger als in unserem Christentum. Wir haben den Sinn für den letzten Gehalt, den Kern, eingebüßt, was uns geblieben ist, sind herrliche Methoden, um überliefern zu können und auszudeuten, was wir ererbt haben. Wir fühlen auch unser Versagen und suchen Abhilfe: aber unsere Abhilffe begnügt sich viel zu sehr mit der Erneuerung der äußeren Gestalt des christlichen Lebens und der Form, in der wir die Wahrheit vortragen, ohne daß wir uns des Wesens im tiefsten Sinn wirklich wieder bewußt würden.
Es ist an der Zeit, unser christliches Bewußtsein so zu vertiefen, daß eine kommende Auseinandersetzung mit ihm oder besser ein Sturm dagegen an seiner Strahlkraft zerschellt. Wir sprechen viel vom wahren Wesen der Religion, aber praktisch stehen periphere Werte im Vordergrund. ...
was uns nottut, ist die Tiefe, Weite und Größe jenes urchristlichen Bewußtseins und seiner uns entschwundenen geistigen Haltung - das Gefühl für die eine und einzige Wirklichkeit und Urnotwendigkeit: Gott - Gott aber gefaßt und aufgenommen in einem Bewußtsein der lebendigen Nähe Gottes und in einer Seele, die aus dieser Gott-Habe lebt und in sich den Wandel der Vergöttlichung wirklich nachvollzieht - die reformatio animae des augustinischen Denkens.
Albert Auer OSB : Reform aus dem Ewigen. 1955. Vorwort
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