"Minimum quod potest haberi de cognitione rerum altissimarum, desiderabilius est quam certissima cognitio, quae habetur de minimis rebus."

"Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge zu gewinnen vermag, ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen"

(Thomas von Aquin: I, 1, 5 ad 1)

15. August 2015

Zwiesprache des Menschen mit GOTT


Das Menschenleben, sagt Buber, ist eine ständige Zwiesprache des Menschen mit GOTT. Der Mensch ist in seinem Leben ständig von GOTT angesprochen, und das ist, vom Menschen her gesehen, die Wirklichkeit, die GOTT im Menschenleben spielt. Diese Wirklichkeit ist also eine dynamische. Es muß uns Wunder nehmen und ist ein merkwürdiger Satz, wenn manche Alten sagen - zuletzt Angelus Silesius, aber der Satz ist viel älter - "GOTT braucht mich und ohne mich wäre GOTT nicht GOTT." Das darf man nicht auffassen vom Standpunkt der Theodizee aus, sondern vom Standpunkt der Wirklichkeit, wie sie GOTT eingerichtet hat.

GOTT möchte für uns ein Du sein und umgekehrt muß GOTT für uns ein Du sein. Es ist etwas anderes, in GOTT lediglich den philosophischen GOTT zu sehen, das heißt, das Absolute, das ich nicht ablehnen darf und kann, vielleicht schon aus rein natürlichen Erwägungen heraus. Das ist nicht der GOTT, um den es sich hier dreht. GOTT, wie wir Ihn meinen, ist persona und von dem Standpunkt aus gesehen, ist es erklärlich, daß ER uns Seinen SOHN schickt, um dieses Verhältnis zu beleben und zu der Höhe zu führen, die ihm entspricht. Der Mensch, wir Christen, sind also für GOTT nicht nur Geschöpf in genere, der Mensch ist ein Kind, von GOTT angesprochen, es hört auf GOTT, für GOTT ein Du.

Und das ist von vornherein das große Wunder, daß GOTT den Menschen als ein Ich nimmt und daß ER mit dem Menschen nicht umgeht wie mit irgend einem anderen Geschöpf. Zum ganzen Universum sagt GOTT nicht Du. Das ganze Universum ist in seiner Pracht und Herrlichkeit, in die wir jetzt ein bißchen mehr eindringen, für GOTT nur ein Es. Und die Seele des geringsten Menschen ist für GOTT ein Du. Und indem der Mensch ist und GOTT ein Verhältnis zu ihm hat, ist der Mensch von GOTT angesprochen.

Das Verhältnis GOTTES zum Menschen müssen wir als ständige Zwiesprache ansehen, als Zwiesprache, die einsetzt am Sinai und die fortgeführt wird bis zu jener Zwiesprache, wo GOTT Seinen eingeborenen SOHN uns schenkt, der schlechthin das Wort GOTTES geworden Ist. ER ist eben das Wort GOTTES in Person, das seiende Wort; und so muß auch unser Leben ein ständiges Angesprochensein von GOTT bedeuten. Wie das Angesprochensein verläuft, ist eine andere Sache.

Aber der Mensch, ohne angesprochen zu sein von GOTT, ist genau so und viel weniger wie ein Kind, das eine Mutter hat, die nie mit dem Kinde spricht. In der Sprache und in der Art der Sprache liegt es, wie die Menschen einander mitzuteilen verstehen. Alles sind Wesen, die Vögel und Tiere geben einander Zeichen und aufgrund der Zeichen verstehen sie die Reaktion. Aber sie sprechen nicht miteinander, sprechen kann nur der Mensch und GOTT. Und darum können wir das Verhältnis GOTTES zum Menschen als Sprechen ansehen und umgekehrt und wir müssen uns in allweg von Ihm angerufen fühlen. Je mehr der Mensch sich diesem Rufe GOTTES entzieht, je weniger ist er Kind GOTTES. Es kommt also ganz und gar darauf an, wie stark Einer im Gespräch ist.

VB 1957

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