"Minimum quod potest haberi de cognitione rerum altissimarum, desiderabilius est quam certissima cognitio, quae habetur de minimis rebus."

"Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge zu gewinnen vermag, ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen"

(Thomas von Aquin: I, 1, 5 ad 1)

15. Juli 2011

Ort der Gnade

An diesem Punkt ist es vielleicht nützlich zu sagen, daß es auch heute Anschauungen gibt, nach denen die ganze Geschichte der Kirche im zweiten Jahrtausend ein ständiger Niedergang gewesen sei; einige sehen den Niedergang schon sofort nach dem Neuen Testament. In Wirklichkeit »Opera Christi non deficiunt, sed proficiunt«, gehen die Werke Christi nicht zurück, sondern schreiten voran. Was wäre die Kirche ohne die neue Spiritualität der Zisterzienser, der Franziskaner und Dominikaner, ohne die Spiritualität der hl. Teresa von Avila und des hl. Johannes vom Kreuz, und so weiter? Auch heute gilt dieser Satz: »Opera Christi non deficiunt, sed proficiunt«, sie schreiten voran. Der hl. Bonaventura lehrt uns das Zusammengehen der notwendigen, auch strengen Unterscheidung des nüchternen Realismus und der Öffnung für neue Charismen, die von Christus seiner Kirche im Heiligen Geist geschenkt werden. Und während sich diese Vorstellung vom Niedergang wiederholt, gibt es auch die andere Vorstellung, nämlich diesen »spiritualistischen Utopismus«, der sich wiederholt. Wir wissen in der Tat, wie einige nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil davon überzeugt waren, daß alles neu wäre, daß es da eine andere Kirche gäbe, daß die vorkonziliare Kirche zu Ende wäre und wir eine andere, eine völlig »andere« Kirche haben würden. Ein anarchischer Utopismus! Und Gott sei Dank haben die weisen Steuermänner des Schiffes Petri, Papst Paul VI. und Papst Johannes Paul II., einerseits die Neuheit des Konzils und andererseits gleichzeitig die Einzigkeit und Kontinuität der Kirche verteidigt, die immer Kirche der Sünder und immer Ort der Gnade ist.


Papst Benedikt XVI

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