Als kleine Anregung zum kommenden Advent, aber auch als Antwort auf den Medienrummel der zeig, wie unfähig die Mehrzahl der sich Äußernden zum echten Zuhören zu sein scheint - oder eben nur böswillig, will ich den nächsten Text von Josef Pieper veröffentlichen. Dabei kommt mir auch das Pauluswort in den Sinn, nach welchem ja der Glaube vom Hören kommt. Auf diese Weise könnte man ja dann weiterspinnen - den Faden natürlich!
Schweigen (1972)
Nur wer schweigt, hört. Würde mich einer nach den Grundregeln geistigen Lebens, auch des geistlichen, fragen, ich gäbe ihm vorweg diesen Satz zu bedenken. Auf den ersten Blick eine Binsenwahrheit; denn natürlich kann man nicht selber reden und zugleich hören, was jemand anders sagt. Doch greift die Sentenz weit über das bloß »Akustische« hinaus. Es handelt sich um mehr als darum, den Mund zu halten; auch im normalen mitmenschlichen Umgang ist ein tieferes Schweigen gefordert – wenn das Wort des Anderen uns wahrhaft erreichen und gar erst, wenn der vielleicht völlig lautlose Hilferuf eines Menschen, der uns braucht, uns zum Herzen dringen soll. Schon hierfür gilt der alte Spruch: »Schweigen und Hören ist die schwerste Arbeit.« Dennoch geht der Gedanke noch näher an die Existenz; er zielt noch ein Stockwerk tiefer sozusagen. Schließlich leitet »Vernunft« sich vom »Vernehmen« her – womit sämtliche Weisen, Realität zu erfassen, gemeint sind: Hören wie Sehen und jegliche Art von Erkenntnis und Einsicht. All das nun, so behauptet jener Satz, kommt einzig unter der Voraussetzung zustande, daß man schweigt, auch und gerade, wenn man »allein mit sich in einem Zimmer« ist und keines menschlichen Partners Wort uns beansprucht. Das hier uns abverlangte Schweigen ist freilich keine leichthin zu beschreibende Sache; vor allem sein Widerpart, das Nicht-Schweigen, hat vielerlei Gestalt.
Die Offenheit schweigenden Aufmerkens kann ja nicht nur durch Gleichgültigkeit erstickt werden oder durch Besserwisserei, die der Sprache der Dinge ins Wort fällt, sondern zum Beispiel auch dadurch, daß einer von draußen her den Lärm von Markt und Straße in sich hineinläßt, die geräuschvolle Tagessensation, das optische Gedröhn nichtiger Schaudinge, allgegenwärtig und, wie jedermann weiß, nach Belieben verfügbar, sobald ein Gelangweilter nach »Abwechslung« verlangt. Die taube Frucht von alledem, insgeheim vielleicht herbeigewünscht, ist die Vereitelung von Hören. Aufs Hörenkönnen aber kommt es an. Schweigen kann man auch verschlossenen Sinnes, mit aufeinandergepreßten Lippen; und es gibt auch eine tote Stille. In Wirklichkeit aber schweigen wir ja nicht in eine gleichfalls wortlose Welt hinaus; die Dinge sind nicht stumm, wie ein furchtbares Philosophenwort vermeint. Und die von einigen fernöstlichen Meditationslehren empfohlene Haltung eines leeren, bewußt keinem Gegenstand zugewendeten Schweigens muß jedem fremd bleiben, der die Welt als Schöpfung versteht, hervorgegangen aus dem göttlichen Ur-Wort und auch selber dem schweigend Hörenden eine tausendstimmige Botschaft bereithaltend, die zu vernehmen seinen wahren Reichtum ausmacht. Goethe, einer der großen Schweiger (was manchem verwunderlich erscheinen mag), formuliert, dreißig Jahre alt, in seinem Tagebuch die Maxime der eigenen inneren Existenz: »Das Beste ist die tiefe Stille, in der ich gegen die Welt lebe und wachse und gewinne, was sie mir mit Feuer und Schwert nicht nehmen können.« Was man sich in solch tiefer Stille gewinnt, ist vielleicht gerade die Ermächtigung zum Wort. Käme es nämlich nicht aus hörendem Schweigen, so bliebe es herkunftsloses Geschwätz, Schall und Rauch, wenn nicht Betrug.
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