"Minimum quod potest haberi de cognitione rerum altissimarum, desiderabilius est quam certissima cognitio, quae habetur de minimis rebus."

"Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge zu gewinnen vermag, ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen"

(Thomas von Aquin: I, 1, 5 ad 1)

14. November 2010

Tapferkeit und Martyrium

Das Gute setzt sich nicht von selbst durch. Es verwirklicht sich nur, wenn tapfere Menschen sich dafür einsetzen. Es ist einer der Grundirrtümer des Liberalismus, zu glauben, das Gute setze sich durch ohne den kampfbereiten Einsatz der Person. – Das Wesen der Tugend der Tapferkeit ist gerade nichts anderes als die Bereitschaft, sich einzusetzen für die Verwirklichung des Guten in der Welt und sich zur Wehr zu setzen gegen die Macht des Bösen. Der Tapfere ist bereit, in diesem Kampfe Verwundungen in Kauf zu nehmen, das heißt Dinge, die dem Menschen natürlicherweise zuwider sind, zum Beispiel: Mißverständnisse, Lächerlichkeit, Verachtung, Schaden an Leib und Gut. Ja, der Tapfere ist sogar bereit, in jenem Kampfe zu fallen. Solcher Tod im Kampfe für das Gute ist der höchste Erweis der Tapferkeit, und die Bereitschaft zu fallen ist ihr tiefster Kern.
Die größte Sache, für die ein Mensch sich überhaupt einsetzen kann, ist die Sache Jesu Christi. Darum ist das Blutzeugnis (Martyrium) für Christus die letzte und eigentlichste Form christlicher Tapferkeit. – Dem Blutzeugnis kommt an Rang in der Tapferkeit der Tod für die Gemeinschaft nahe, vor allem der Tod im gerechten Krieg für das Recht und den Frieden des eigenen Volkes.
Die Tapferkeit als Tugend setzt die Gerechtigkeit voraus. Das bedeutet, daß nur der Gerechte wirklich tapfer sein kann. Echte Tapferkeit gibt es nur im Kampfe für eine gerechte Sache. Der Mut des Verbrechers ist keine Tapferkeit. Thomas von Aquin sagt darum: »Das Lob der Tapferkeit hängt von der Gerechtigkeit ab.« Und der heilige Ambrosius: »Tapferkeit ohne Gerechtigkeit ist ein Hebel des Bösen.«
Die Tapferkeit eines Menschen zeigt sich nicht nur im Angriff, sondern auch im Standhalten. Ja, das Standhalten kann viel tapferer sein als der Angriff. Jeder Frontkämpfer weiß, daß der Sturmangriff nicht so viel sittliche Kraft zu fordern braucht wie das standhafte Aushalten im Trommelfeuer. Und auch das Martyrium, die Krone aller christlichen Tapferkeit, ist ja wesentlich Aushalten und Standhalten. – Darum gehört auch die Geduld mit zur Tugend der Tapferkeit. Geduld im echten christlichen Sinn ist nämlich nichts anderes als die Fähigkeit, in der gefahrvollsten Lage die Ruhe und den Gleichmut der Seele zu bewahren, auch angesichts der Übermacht des Bösen.
Diese Bereitschaft des tapferen Christen, im äußersten Ernstfall geduldig standhaltend zu fallen, bedeutet nicht, daß er auf den Angriff verzichtet. Die Tapferkeit des Angriffs empfängt vielmehr durch jene geduldige Bereitschaft eine Überlegenheit und eine innere Freiheit, die jedem krampfhaften Aktivismus, der die Geduld und das Standhalten als »unmännlich« verachtet, endgültig versagt bleiben. 
Josef Pieper

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