C.S. Lewis (1948)
Ich kann wohl annehmen, daß von den Lesern dieses Buches fast jeder mit irgendeinem anderen Menschen Schwierigkeiten hat, sei es am Arbeitsplatz oder zu Hause. Vielleicht ist es dein Arbeitgeber - oder einer deiner Angestellten, dein Hausmeister - oder dein Mieter; vielleicht ist es auch die Verwandtschaft deines Ehepartners - oder deine eigene, deine Eltern, deine Kinder, ja, deine Frau oder dein Mann ..., irgend jemand macht dir gerade jetzt das Leben schwerer, als es sein müßte. Wir tun gut daran, solche Konflikte möglichst nicht mit Außenstehenden zu besprechen, vor allem dann, wenn wir Probleme mit unseren eigenen Angehörigen haben. Aber manchmal passiert es uns doch. Ein Bekannter fragt uns, warum wir so bedrückt sind - und unversehens haben wir ihn zu unserem Vertrauten gemacht.
Höchstwahrscheinlich wird unser Bekannter nun einwenden: «Aber warum sagst du es denn nicht einfach? Warum gehst du nicht zu deinem Mann (oder deiner Frau, deinem Vater, deiner Tochter, deinem Chef, deiner Schlummermutter, deinem Untermieter ...) und sprichst dich einmal gründlich mit ihm aus? Die meisten Leute sind doch vernünftig. Man muß ihnen die Dinge nur begreiflich machen, das ist alles. Du kannst ihm sicher alles erklären, wenn du dabei nur sachlich, ruhig und freundlich bleibst.»
Vielleicht stimmen wir unserem Freund nach außen hin zu. Im Stillen aber denken wir resigniert: «Er kennt diesen ‹X› eben nicht! Ich kenne ihn! Ich weiß, wie völlig hoffnungslos es ist, ‹X› zur Einsicht zu bringen.» Vielleicht haben wir es schon unzählige Male versucht, aber ohne Erfolg, bis zum Überdruß. Oder wir haben es nie versucht, weil wir von Anfang an überzeugt waren, daß es nichts nützen würde. Wir wissen zum voraus, was geschehen würde, wenn wir versuchten, uns mit «X» «einmal gründlich auszusprechen»: Entweder würde es eine Szene geben; oder «X» würde aus allen Wolken fallen und sagen: «Ich verstehe überhaupt nicht, wovon du redest!» Oder aber - und das wäre wohl das Schlimmste - «X» würde alles einsehen und versprechen, daß es von jetzt an anders werden solle ..., und dann, vierundzwanzig Stunden später, wäre er wieder genau der gleiche «X» wie schon immer.
Ja, du weißt es wirklich: «X» hat einen verhängnisvollen Charakterzug, an dem jeder Versuch einer Aussprache mit ihm scheitern muß. Du kennst das schon lange: Eh und je haben sich deine Pläne an diesem einen Punkt zerschlagen: An «X's» krankhafter Eifersucht oder an seiner unverbesserlichen Faulheit oder an seiner Empfindlichkeit; an seiner Liederlichkeit oder an seiner Herrschsucht; an seinem unberechenbaren Wesen oder an seiner chronisch schlechten Laune ...
Bis zu einem gewissen Alter hast du vielleicht gehofft, daß ein äußeres Ereignis, ein Glücksfall, dein Problem lösen würde - eine Besserung deiner Gesundheit, eine Gehaltserhöhung, das Ende der Rezession. Aber diese Illusion hast du begraben. Die Wirtschaftskrise ist vorbei; aber «X» ist immer noch «X», und dir beginnt aufzudämmern, daß er es auch bleiben würde, wenn alle übrigen Hoffnungen in Erfüllung gingen. Du könntest Millionär werden - aber dein Mann wäre immer noch der alte Tyrann, oder deine Frau würde an dir herumnörgeln oder dein Sohn trinken, oder du müßtest noch immer das Zusammenleben mit deiner Schwiegermutter ertragen.
Es ist ein großer Schritt vorwärts, wenn man das einsieht. So ist es nun einmal: Selbst wenn es dir sonst in jeder Hinsicht gut ginge, wäre dein Glück noch davon abhängig, mit was für Menschen du zusammenleben mußt - und die kannst du nicht ändern. Dieser Tatsache mußt du dich stellen. Und weißt du, warum? - Weil du auf diese Weise eine leise Ahnung davon bekommst, wie es für Gott sein muß. Denn tatsächlich ist (in einem gewissen Sinn) genau das Gottes Schwierigkeit mit uns: Er hat den Menschen eine reiche, wunderbare Welt als Lebensraum zugedacht. Er hat ihnen den Verstand gegeben, damit sie das Geschaffene richtig nutzen können, und das Gewissen, damit sie in Verantwortung damit umgehen. Er hat es liebevoll so eingerichtet, daß alles, was die Menschen für ihre Existenz nötig haben (Essen, Trinken, Ruhe, Schlaf, Bewegung), ihnen lauter Lust und Vergnügen bringen sollte. Und trotzdem sieht er dann alle seine Pläne zunichte gemacht - genauso wie unsere kleinen Pläne zunichte gemacht werden - durch die Verkehrtheit und den unbegreiflichen Eigensinn der Menschen selbst. All die Dinge, mit denen er sie glücklich machen wollte, verkehren sie zu Anlässen für Streit und Eifersucht, für Maßlosigkeit, Habgier und sinnlose Verrücktheiten aller Art.
Du kannst einwenden, das sei doch für Gott ganz anders. Wenn er nur wolle, so könne er den Charakter eines Menschen ändern - und eben das können wir nicht. Aber so anders, wie wir leichthin denken mögen, ist es doch nicht. Gott hat es sich selbst zum Grundsatz gemacht, niemals mit Gewalt den Charakter eines Menschen zu verändern. Er kann und will ihn verändern - aber nur, wenn der Mensch selbst es zuläßt. So hat er wirklich und wahrhaftig seiner Allmacht Grenzen gesetzt. Manchmal fragen wir uns, warum er das getan hat, oder wir wünschen sogar, er hätte es nicht getan. Aber offenbar denkt Gott darüber anders. Lieber will er das Risiko auf sich nehmen, seine Welt freien Geschöpfen anzuvertrauen, als sie mit Menschenwesen zu füllen, die rechttun wie Maschinen, weil sie gar nicht anders können. Stellen wir uns nur einmal vor, Gott hätte seine Welt mit lauter ferngesteuerten Robotern bevölkert! Beim bloßen Gedanken daran muß uns doch etwas von seiner Weisheit aufdämmern.
Teil 2
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