… und Tapferkeit vollendet sich im Blutzeugnis. Das Martyrium ist die eigentliche und höchste Tat der Tapferkeit. Die Bereitschaft zum Martyrium ist die Wesenswurzel aller christlichen Tapferkeit. Es gibt keine christliche Tapferkeit ohne diese Bereitschaft.
Ein Zeitalter, in dessen Bewußtsein der Begriff des Blutzeugnisses ausgelöscht ist, muß notwendig die Tapferkeit zu einer Bramarbas-Geste erniedrigen. Nur muß man daran denken, daß jene Auslöschung auf vielerlei Weise geschehen kann. Der spießbürgerlichen Meinung, daß die Wahrheit und das Gute sich ohne den Einsatz der Person »von selbst« »durchsetzen«, ist durchaus gleichgeordnet die billige Begeisterung, die nicht müde wird, von der »freudigen Bereitschaft zum Martyrium« zu reden: die Entwirklichung des Blutzeugnisses ist in beiden Fällen die gleiche.
Die Christenheit denkt über diese Sache anders. Auf der einen Seite gilt ihr die Bereitschaft zum Blutzeugnis für Christus als ein streng verpflichtendes göttliches Gebot (cadit sub praecepto); »der Mensch muß sich dafür bereithalten, eher sich töten zu lassen, als Christus zu verleugnen oder schwer zu sündigen.« Die Todesbereitschaft ist also eines der Fundamente christlichen Lebens. Was aber anderseits die geschwätzige Begeisterung für das Martyrium betrifft: fragen wir doch die Kirche der Märtyrer, was sie davon hielt. Im »Martyrium des heiligen Polykarp«, einem der ältesten Berichte aus der Verfolgungszeit (Mitte des zweiten Jahrhunderts), gesandt von der »Kirche Gottes in Smyrna« an »alle Gemeinden der heiligen und katholischen Kirche«, lesen wir einen knappen Abschnitt: »Einer aber, ein Phrygier namens Quintus, geriet in Angst beim Anblick der wilden Tiere. Gerade er war es, der sich freiwillig dem Gericht gestellt und auch einige andere dazu veranlaßt hatte. Ihn bewog der Prokonsul durch wiederholtes Zureden, zu schwören und zu opfern. Darum, Brüder, loben wir nicht die, welche sich selbst darbieten; so lehrt auch nicht das Evangelium.« Und der heilige Kirchenvater Cyprian, der im Jahre 258 enthauptet wurde, erklärte dem Prokonsul Paternus: »Unsere Lehre verbietet, daß einer sich selbst melde.« Die Väter der Urkirche, von Cyprian über Gregor von Nazianz zu Ambrosius, haben, wie es scheint, geradezu angenommen, Gott werde die Kraft durchzuhalten denen am ehesten entziehen, die sich, mutwillig vertrauend auf den selbsteigenen Entschluß, zum Blutzeugnis drängen. Thomas von Aquin endlich, in dessen Summa theologica ein Artikel sozusagen über die »Freuden der Tapferkeit« handelt (utrum fortis delectetur in suo actu), sagt, der Schmerz des Martyriums überdecke sogar die geistige Freude an der gottgefälligen Tat, »es sei denn, daß die überströmende Gnade Gottes die Seele mit überstarker Gewalt zu den göttlichen Dingen erhebt«.
Dürer: 10.000 Märtyrer |
Die Hinnahme der Verwundung macht erst das halbe, das vordergründige Wesen der Tapferkeit aus. Nicht um ihrer selbst willen nimmt der Tapfere die Verwundung hin. Vielmehr will er durch sie eine tiefere, wesentlichere Unversehrtheit bewahren oder gewinnen.
Diese Gewißheit, in der im Kampfe für das Gute empfangenen Verwundung einer Unversehrtheit teilhaft zu werden, die der Lebensmitte des Menschen näher und inniger verknüpft ist als alles rein naturhafte Beruhigtsein – diese Gewißheit ist dem christlichen Bewußtsein niemals verlorengegangen; wenn es auch den Beurteilern und den Gegnern des Christentums nicht immer gelungen ist, diese Gewißheit und den Rang, den sie unter den christlichen Lebensmächten einnimmt, zu entdecken und richtig abzuschätzen.
Das Martyrium erschien der Urkirche als ein Sieg, wenn auch als ein tödlicher Sieg: »Er siegt durch seinen Tod für den Glauben; ohne den Glauben lebend, würde er besiegt sein«, sagt der heilige Maximus von Turin, ein Bischof des fünften Jahrhunderts, über den Blutzeugen. Und Tertullian: »Wir siegen, wenn wir niedergemacht werden; wir entrinnen, wenn wir vor den Richter geführt werden.«
Daß diese Siege tödlich sind oder doch verwunden – das gehört zu den unbegreiflichen und unabänderlichen Bedingungen, unter denen der Christ, und vielleicht nicht nur der Christ, in der Welt existiert. Thomas von Aquin scheint es fast für das Wesen der Tapferkeit zu halten, daß sie gegen die Übermacht des Bösen kämpft, die der Tapfere nur sterbend oder verwundet besiegt. ...
Zunächst und vor allem: der Tapfere nimmt die Verwundung nicht um ihrer selbst willen hin. Das »Leiden um des Leidens willen« ist dem Christen nicht minder als dem »natürlichen« Menschen ein Un-Sinn. Der Christ verachtet nicht die Dinge, die durch die Verwundung zerstört werden. Der Märtyrer schätzt nicht schlechthin das Leben gering; wenn er es auch für geringer hält als das, weswegen er es hingibt. Der Christ liebt sein Leben, sagt Thomas, nicht nur mit den naturhaften lebenswilligen Kräften des Leibes, sondern auch mit den sittlichen Kräften der geistigen Seele. Und das ist nicht wie eine Entschuldigung gesagt. Gemeint ist nicht, daß der Mensch sein natürliches Leben liebe, weil er eben »nur ein Mensch« sei; sondern: daß er es liebe, just weil und sofern er ein guter Mensch sei. Das gleiche gilt, wie für das Leben selbst, auch für den ganzen Umkreis dessen, was in der natürlichen Unversehrtheit mit einbeschlossen ist: Freude, Gesundheit, Erfolg, Glück. Alle diese Dinge sind echte Güter, die der Christ nicht einfach weggibt und gering schätzt: es sei denn, um höhere Güter zu bewahren, deren Verlust tiefer den Wesenskern der menschlichen Existenz verletzen würde.
All das wird nicht dadurch in seiner Geltung aufgehoben, daß selbstverständlich das heroische Leben der Heiligen und der großen Christen alles eher ist als das Ergebnis einer vorsichtig abwägenden Gewinn- und Verlustrechnung.
Diese »Spannung« ist nicht in einem Einklang aufzulösen; für den endlichen Geist und für das irdische Leben jedenfalls ist sie unrückführbar und unaufhebbar. Aber sie ist nicht mehr und nicht weniger widerspruchsvoll als der Satz des Evangeliums: Wer sein Leben liebt, der wird es verlieren (Joh 12, 25). Sie ist auch nicht rätselhafter als die erstaunliche Tatsache, daß der wirklichkeitsoffene und weltzugewandte Thomas von Aquin, der so häufig für einen taghellen Diesseitsoptimismus in Anspruch genommen wird, auch dieses lehrt: dem wirklich eindringenden Wissen um die geschaffenen Dinge sei eine abgründige Traurigkeit zugeordnet, eine Traurigkeit, so unüberwindlich, daß sie dem Menschen durch keine natürliche Kraft der Einsicht und des Willens abgenommen werden könne (und diese Traurigkeit sei es, von der in den Seligpreisungen der Bergpredigt gesagt ist: Selig sind die Trauernden, denn sie werden getröstet werden).
Josef Pieper
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