"Minimum quod potest haberi de cognitione rerum altissimarum, desiderabilius est quam certissima cognitio, quae habetur de minimis rebus."

"Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge zu gewinnen vermag, ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen"

(Thomas von Aquin: I, 1, 5 ad 1)

29. November 2010

Nur wer schweigt, hört - Teil 2

Der Hörende (Skulptur von Toni Zenz)
Freilich kann es auch geschehen, daß es dem Menschen, der sich bis in den Grund der Seele hinein dem wahrhaft Wirklichen öffnet, die Sprache verschlägt, weil die Überfülle des nun Vernehmlich-werdenden die Möglichkeiten des benennenden Wortes sprengt. Darum sind nicht zufällig »Dunkel des Schweigens« und »stummer Jubel« Grundworte der großen Mystiker. Und wenn sie dennoch reden und schreiben von dem, was sie geschaut und vernommen haben, dann fühlt man stets »im Silber der Rede das Gold eines Schweigens, das den geheimsten Reichtum der Seele nicht ins Wort geben konnte« (J. Bernhart). Vielleicht also gilt, in bezug auf den höchsten Gegenstand menschlicher Erkenntnis, eines Augenblicks die Umkehrung des an den Anfang gestellten Satzes: Wer hört, schweigt. 
Der Horizont des Begriffes »Schweigen« hat erstaunliche Ausmessungen. Man begegnet ihm nicht allein in den Lebenslehren der Weisen. Auch in der Geschichte der Weltdeutung hat er einen denkwürdigen Platz. So reicht seine Erstreckung von der Kosmogonie der hellenistischen Gnostiker, denen die Zweieinheit des »Unnennbaren« und des »Schweigens« als der ungezeugte Seinsgrund der Welt galt, über die mystisch-asketischen Schweigegebote des Pythagoras und der Mönchsorden des Ostens wie des Westens bis hin zu der so anmutigen wie tiefsinnigen Courtoisie, mit der, in Shakespeares Tragödie, Coriolan sein Weib Virgilia begrüßt: »Mein lieblich Schweigen, Heil!« (1943) 
Es ist eines, sich kraft willentlicher Setzung des Wortes zu enthalten; ein anderes ist, nicht reden zu können, weil es einem die Sprache verschlägt. Das Schweigen der ersten Art ist ein im strengen Sinne menschliches Schweigen; wie auch das Wort, die Fassung des Sinnes im lautenden Hauch, dem innersten Bereich des eigentlich Menschlichen zugehörig ist. Wo die Kraft zum Wort erlischt, da tritt der Mensch an die Grenze seines Daseins. Es kann dies die Grenze nach unten sein, aber auch die Grenze nach oben. Solches Versagen der Wortkraft aber mag nicht so sehr ein eigentliches Schweigen als vielmehr ein Stummwerden heißen. 
Auf einer Fahrt durch Island schrieb mir eine gastliche Freundin ins Wanderbuch den nordländischen Spruch: Tiefstes Leid und höchste Freude gehen wortlos über die Erde. 
Es gibt physische und seelische Schmerzen, die den Menschen im gleichen Maße verstummen machen, wie sie ihn, sozusagen entmächtigt, aus seiner eigenen Natur verweisen. Der todkranke Rilke notierte: »Le chien malade est encore chien, toujours. Nous, à partir d’un certain degré de souffrances insensées, sommes-nous encore nous?« Und der bekannte Goethe-Vers, gibt er nicht vornehmlich dies zu bedenken: daß ein Gott es ist, der dem in seiner Qual verstummten Menschen die Sprache, wie ein Ungeschuldetes, verleiht? 
Aber nicht allein wenn wir unter die Schwelle unseres Wesens hinabgezwungen, sondern auch wenn wir über unser Vermögen hinausgehoben werden – verlieren wir die Sprache. 
Wer als sterblicher Mensch in das Licht des Göttlichen tritt, wird geblendet, so daß, wie Finsternis und übergroße Helligkeit dem Auge das gleiche bedeuten, auch die Überfülle des Sagbaren unsagbar wird. 
Der Herzbereich menschlichen Seins, der bebaute Acker von Wort und Sprache, grenzt also, rechts wie links, an die Wortlosigkeit: an das Verstummen der unmündigen Kreatur und an das Verstummen des Mystikers. Nach unten aber, in die Tiefe, treibt die Rede ihre Wurzeln in das nährende Erdreich des Schweigens. (1943) 

28. November 2010

Geoffenbarte Moral

Wir möchten sofort zwei Grundideen einführen, die wir später genauer ausführen werden:

1. Die Moral, ohne weniger wichtig zu sein, steht an zweiter Stelle. An erster Stelle steht und grundlegend ist die Initiative Gottes, die wir theologisch im Begriff ‚Geschenk‘ ausdrücken werden. In biblischer Sicht wurzelt die Moral im vorausgehenden Geschenk des Lebens, der Intelligenz und des freien Willens (Schöpfung) und vor allem in dem völlig unverdienten Angebot einer bevorzugten, inneren Beziehung des Menschen zu Gott (Bund). Die Moral ist nicht in erster Linie Antwort des Menschen, sondern Offenbarung des Planes und des Geschenks Gottes. Mit anderen Worten, für die Bibel kommt die Moral nach der Erfahrung Gottes, genauer nach der Erfahrung, die Gott den Menschen machen lässt als ganz unverdientes Geschenk.

2. Von hier aus gesehen ist das Gesetz selber integraler Teil des Bundes, ist Geschenk Gottes. Ursprünglich ist ‚Gesetz‘ nicht ein juristischer Begriff, der auf Verhaltensweisen und Haltungen ausgerichtet ist, sondern ein theologischer Begriff, den die Bibel selber am besten wiedergibt mit dem Wort „Weg“ (hebräisch derek, griechisch hodos): ein Weg, der angeboten wird.

Im heutigen Kontext ist diese Sicht der Bibel besonders wichtig. Die moralische Unterweisung ist sicher ein wesentlicher Teil der Sendung der Kirche, steht aber doch an zweiter Stelle im Vergleich mit der Aufgabe, das Geschenk Gottes und die spirituelle Erfahrung geltend zu machen; wir tun uns heute manchmal schwer, das in angemessener Weise wahrzunehmen und zu verstehen. 



27. November 2010

Advent - Besuch Gottes

Die Bedeutung des Ausdrucks »Advent« schließt also auch die »visitatio« ein, was eigentlich einfach »Besuch« bedeutet; in diesem Falle handelt es sich um einen Besuch Gottes: Er tritt in mein Leben ein und will sich an mich wenden. Im täglichen Leben machen wir alle die Erfahrung, wenig Zeit für den Herrn und wenig Zeit auch für uns zu haben. Am Ende ist man vom »Machen« völlig in Anspruch genommen. Ist es etwa nicht wahr, daß die Aktivität oft von uns Besitz ergreift, daß uns die Gesellschaft mit ihren vielfältigen Interessen oft völlig vereinnahmt? Widmet man Vergnügen und vielerlei Zerstreuungen etwa nicht viel Zeit? Manchmal »überwältigen « uns die Dinge. Der Advent, der liturgische Festkreis, in den wir jetzt eintreten, lädt uns ein, still zu verweilen, um eine Gegenwart zu erfassen. Er ist als eine Einladung zu verstehen, daß die einzelnen Ereignisse des Tages Hinweise sind, die Gott an uns richtet, Zeichen der Aufmerksamkeit, die er einem jeden von uns entgegenbringt. Wie oft läßt Gott uns etwas von seiner Liebe spüren! Sozusagen ein »inneres Tagebuch« über diese Liebe zu führen, wäre eine schöne und heilende Aufgabe für unser Leben! Der Advent lädt uns ein und spornt uns an, über die Gegenwart des Herrn nachzudenken. Sollte die Gewißheit seiner Gegenwart uns nicht helfen, die Welt mit anderen Augen zu sehen? Sollte sie uns nicht helfen, unser ganzes Leben als »Besuch« zu betrachten, als eine Weise, wie er in jeder Situation zu uns kommen und uns nahe sein kann? (28.11.2009)

Volksbibel 2000

Vor einigen Tagen fand ich dieses Programm zum Bibelstudium.
Von der Bedienung her ist es etwas gewöhnungsbedürftig, hat aber den absoluten Vorteil zu ähnlichen Programmen die ich kenne, daß es (u.a.) zwei gute katholische Bibelübersetzungen mit den Kommentaren enthält.  Zum Studium bietes es noch den griechischen, hebräischen Text, sowie den der Neovulgata an. Für Griechisch und Herbräisch gibt es auch ein Wörterbuch. Wen es interessiert schaut es sich am besten selbst an. Und das als kostenloses Programm.

Der Urtext zu Elsas Lukasexeges schaut im Programm mit dem griechischen Text, Worterklärung und Übersetzung so aus.

Alma Redemptoris Mater

Audiamus vocem Domini, ut ingrediamur in requiem eius.


Oh, hörtet ihr doch heute auf seine Stimme!
"Verhärtet euer Herz nicht wie in Meriba, wie in der Wüste am Tag von Massa,
wo eure Väter mich versucht und geprüft, obwohl sie geschaut hatten meine Taten! 
Vierzig Jahre hatte ich Abscheu vor diesem Geschlecht. Ich sprach: Sie sind ein Volk mit irrendem Herzen, denn sie achten nicht auf meine Wege.
So schwur ich voll Zorn: Sie sollen nicht einziehen in das Land meiner Ruhe!" 



Nur wer schweigt, hört - Teil 1

Als kleine Anregung zum kommenden Advent, aber auch als Antwort auf den Medienrummel der zeig, wie unfähig die Mehrzahl der sich Äußernden zum echten Zuhören zu sein scheint - oder eben nur böswillig, will ich den nächsten Text von Josef Pieper veröffentlichen. Dabei kommt mir auch das Pauluswort in den Sinn, nach welchem ja der Glaube vom Hören kommt. Auf diese Weise könnte man ja dann weiterspinnen - den Faden natürlich!

Schweigen  (1972) 
Nur wer schweigt, hört. Würde mich einer nach den Grundregeln geistigen Lebens, auch des geistlichen, fragen, ich gäbe ihm vorweg diesen Satz zu bedenken. Auf den ersten Blick eine Binsenwahrheit; denn natürlich kann man nicht selber reden und zugleich hören, was jemand anders sagt. Doch greift die Sentenz weit über das bloß »Akustische« hinaus. Es handelt sich um mehr als darum, den Mund zu halten; auch im normalen mitmenschlichen Umgang ist ein tieferes Schweigen gefordert – wenn das Wort des Anderen uns wahrhaft erreichen und gar erst, wenn der vielleicht völlig lautlose Hilferuf eines Menschen, der uns braucht, uns zum Herzen dringen soll. Schon hierfür gilt der alte Spruch: »Schweigen und Hören ist die schwerste Arbeit.« Dennoch geht der Gedanke noch näher an die Existenz; er zielt noch ein Stockwerk tiefer sozusagen. Schließlich leitet »Vernunft« sich vom »Vernehmen« her – womit sämtliche Weisen, Realität zu erfassen, gemeint sind: Hören wie Sehen und jegliche Art von Erkenntnis und Einsicht. All das nun, so behauptet jener Satz, kommt einzig unter der Voraussetzung zustande, daß man schweigt, auch und gerade, wenn man »allein mit sich in einem Zimmer« ist und keines menschlichen Partners Wort uns beansprucht. Das hier uns abverlangte Schweigen ist freilich keine leichthin zu beschreibende Sache; vor allem sein Widerpart, das Nicht-Schweigen, hat vielerlei Gestalt.
Die Offenheit schweigenden Aufmerkens kann ja nicht nur durch Gleichgültigkeit erstickt werden oder durch Besserwisserei, die der Sprache der Dinge ins Wort fällt, sondern zum Beispiel auch dadurch, daß einer von draußen her den Lärm von Markt und Straße in sich hineinläßt, die geräuschvolle Tagessensation, das optische Gedröhn nichtiger Schaudinge, allgegenwärtig und, wie jedermann weiß, nach Belieben verfügbar, sobald ein Gelangweilter nach »Abwechslung« verlangt. Die taube Frucht von alledem, insgeheim vielleicht herbeigewünscht, ist die Vereitelung von Hören. Aufs Hörenkönnen aber kommt es an. Schweigen kann man auch verschlossenen Sinnes, mit aufeinandergepreßten Lippen; und es gibt auch eine tote Stille. In Wirklichkeit aber schweigen wir ja nicht in eine gleichfalls wortlose Welt hinaus; die Dinge sind nicht stumm, wie ein furchtbares Philosophenwort vermeint. Und die von einigen fernöstlichen Meditationslehren empfohlene Haltung eines leeren, bewußt keinem Gegenstand zugewendeten Schweigens muß jedem fremd bleiben, der die Welt als Schöpfung versteht, hervorgegangen aus dem göttlichen Ur-Wort und auch selber dem schweigend Hörenden eine tausendstimmige Botschaft bereithaltend, die zu vernehmen seinen wahren Reichtum ausmacht. Goethe, einer der großen Schweiger (was manchem verwunderlich erscheinen mag), formuliert, dreißig Jahre alt, in seinem Tagebuch die Maxime der eigenen inneren Existenz: »Das Beste ist die tiefe Stille, in der ich gegen die Welt lebe und wachse und gewinne, was sie mir mit Feuer und Schwert nicht nehmen können.« Was man sich in solch tiefer Stille gewinnt, ist vielleicht gerade die Ermächtigung zum Wort. Käme es nämlich nicht aus hörendem Schweigen, so bliebe es herkunftsloses Geschwätz, Schall und Rauch, wenn nicht Betrug. 

15. November 2010

Es läßt mich nicht los: Martyrium

…  und Tapferkeit vollendet sich im Blutzeugnis. Das Martyrium ist die eigentliche und höchste Tat der Tapferkeit. Die Bereitschaft zum Martyrium ist die Wesenswurzel aller christlichen Tapferkeit. Es gibt keine christliche Tapferkeit ohne diese Bereitschaft. 
Ein Zeitalter, in dessen Bewußtsein der Begriff des Blutzeugnisses ausgelöscht ist, muß notwendig die Tapferkeit zu einer Bramarbas-Geste erniedrigen. Nur muß man daran denken, daß jene Auslöschung auf vielerlei Weise geschehen kann. Der spießbürgerlichen Meinung, daß die Wahrheit und das Gute sich ohne den Einsatz der Person »von selbst« »durchsetzen«, ist durchaus gleichgeordnet die billige Begeisterung, die nicht müde wird, von der »freudigen Bereitschaft zum Martyrium« zu reden: die Entwirklichung des Blutzeugnisses ist in beiden Fällen die gleiche. 
Die Christenheit denkt über diese Sache anders. Auf der einen Seite gilt ihr die Bereitschaft zum Blutzeugnis für Christus als ein streng verpflichtendes göttliches Gebot (cadit sub praecepto); »der Mensch muß sich dafür bereithalten, eher sich töten zu lassen, als Christus zu verleugnen oder schwer zu sündigen.« Die Todesbereitschaft ist also eines der Fundamente christlichen Lebens. Was aber anderseits die geschwätzige Begeisterung für das Martyrium betrifft: fragen wir doch die Kirche der Märtyrer, was sie davon hielt. Im »Martyrium des heiligen Polykarp«, einem der ältesten Berichte aus der Verfolgungszeit (Mitte des zweiten Jahrhunderts), gesandt von der »Kirche Gottes in Smyrna« an »alle Gemeinden der heiligen und katholischen Kirche«, lesen wir einen knappen Abschnitt: »Einer aber, ein Phrygier namens Quintus, geriet in Angst beim Anblick der wilden Tiere. Gerade er war es, der sich freiwillig dem Gericht gestellt und auch einige andere dazu veranlaßt hatte. Ihn bewog der Prokonsul durch wiederholtes Zureden, zu schwören und zu opfern. Darum, Brüder, loben wir nicht die, welche sich selbst darbieten; so lehrt auch nicht das Evangelium.« Und der heilige Kirchenvater Cyprian, der im Jahre 258 enthauptet wurde, erklärte dem Prokonsul Paternus: »Unsere Lehre verbietet, daß einer sich selbst melde.« Die Väter der Urkirche, von Cyprian über Gregor von Nazianz zu Ambrosius, haben, wie es scheint, geradezu angenommen, Gott werde die Kraft durchzuhalten denen am ehesten entziehen, die sich, mutwillig vertrauend auf den selbsteigenen Entschluß, zum Blutzeugnis drängen. Thomas von Aquin endlich, in dessen Summa theologica ein Artikel sozusagen über die »Freuden der Tapferkeit« handelt (utrum fortis delectetur in suo actu), sagt, der Schmerz des Martyriums überdecke sogar die geistige Freude an der gottgefälligen Tat, »es sei denn, daß die überströmende Gnade Gottes die Seele mit überstarker Gewalt zu den göttlichen Dingen erhebt«. 
Dürer: 10.000 Märtyrer
Vor der unromantischen, herben Wirklichkeit, die in dem Ernst dieser Äußerungen zu Wort kommt, verwehen alle phrasenhaften Begeisterungen und Vereinfachungen ins Wesenlose. Erst dann aber wird der Blick frei auf die wirkliche Bedeutung der steinernen Tatsache, daß die Kirche die Bereitschaft zum Blutzeugnis zu den Grundlagen des Christenlebens zählt. 
Die Hinnahme der Verwundung macht erst das halbe, das vordergründige Wesen der Tapferkeit aus. Nicht um ihrer selbst willen nimmt der Tapfere die Verwundung hin. Vielmehr will er durch sie eine tiefere, wesentlichere Unversehrtheit bewahren oder gewinnen. 
Diese Gewißheit, in der im Kampfe für das Gute empfangenen Verwundung einer Unversehrtheit teilhaft zu werden, die der Lebensmitte des Menschen näher und inniger verknüpft ist als alles rein naturhafte Beruhigtsein – diese Gewißheit ist dem christlichen Bewußtsein niemals verlorengegangen; wenn es auch den Beurteilern und den Gegnern des Christentums nicht immer gelungen ist, diese Gewißheit und den Rang, den sie unter den christlichen Lebensmächten einnimmt, zu entdecken und richtig abzuschätzen. 
Das Martyrium erschien der Urkirche als ein Sieg, wenn auch als ein tödlicher Sieg: »Er siegt durch seinen Tod für den Glauben; ohne den Glauben lebend, würde er besiegt sein«, sagt der heilige Maximus von Turin, ein Bischof des fünften Jahrhunderts, über den Blutzeugen. Und Tertullian: »Wir siegen, wenn wir niedergemacht werden; wir entrinnen, wenn wir vor den Richter geführt werden.« 
Daß diese Siege tödlich sind oder doch verwunden – das gehört zu den unbegreiflichen und unabänderlichen Bedingungen, unter denen der Christ, und vielleicht nicht nur der Christ, in der Welt existiert. Thomas von Aquin scheint es fast für das Wesen der Tapferkeit zu halten, daß sie gegen die Übermacht des Bösen kämpft, die der Tapfere nur sterbend oder verwundet besiegt. ...
Zunächst und vor allem: der Tapfere nimmt die Verwundung nicht um ihrer selbst willen hin. Das »Leiden um des Leidens willen« ist dem Christen nicht minder als dem »natürlichen« Menschen ein Un-Sinn. Der Christ verachtet nicht die Dinge, die durch die Verwundung zerstört werden. Der Märtyrer schätzt nicht schlechthin das Leben gering; wenn er es auch für geringer hält als das, weswegen er es hingibt. Der Christ liebt sein Leben, sagt Thomas, nicht nur mit den naturhaften lebenswilligen Kräften des Leibes, sondern auch mit den sittlichen Kräften der geistigen Seele. Und das ist nicht wie eine Entschuldigung gesagt. Gemeint ist nicht, daß der Mensch sein natürliches Leben liebe, weil er eben »nur ein Mensch« sei; sondern: daß er es liebe, just weil und sofern er ein guter Mensch sei. Das gleiche gilt, wie für das Leben selbst, auch für den ganzen Umkreis dessen, was in der natürlichen Unversehrtheit mit einbeschlossen ist: Freude, Gesundheit, Erfolg, Glück. Alle diese Dinge sind echte Güter, die der Christ nicht einfach weggibt und gering schätzt: es sei denn, um höhere Güter zu bewahren, deren Verlust tiefer den Wesenskern der menschlichen Existenz verletzen würde. 
All das wird nicht dadurch in seiner Geltung aufgehoben, daß selbstverständlich das heroische Leben der Heiligen und der großen Christen alles eher ist als das Ergebnis einer vorsichtig abwägenden Gewinn- und Verlustrechnung. 
Diese »Spannung« ist nicht in einem Einklang aufzulösen; für den endlichen Geist und für das irdische Leben jedenfalls ist sie unrückführbar und unaufhebbar. Aber sie ist nicht mehr und nicht weniger widerspruchsvoll als der Satz des Evangeliums: Wer sein Leben liebt, der wird es verlieren (Joh 12, 25). Sie ist auch nicht rätselhafter als die erstaunliche Tatsache, daß der wirklichkeitsoffene und weltzugewandte Thomas von Aquin, der so häufig für einen taghellen Diesseitsoptimismus in Anspruch genommen wird, auch dieses lehrt: dem wirklich eindringenden Wissen um die geschaffenen Dinge sei eine abgründige Traurigkeit zugeordnet, eine Traurigkeit, so unüberwindlich, daß sie dem Menschen durch keine natürliche Kraft der Einsicht und des Willens abgenommen werden könne (und diese Traurigkeit sei es, von der in den Seligpreisungen der Bergpredigt gesagt ist: Selig sind die Trauernden, denn sie werden getröstet werden). 
Josef Pieper

Über den Schmerz


....  Die christliche Urform des »heroischen Untergangs« ist das Martyrium, das Blutzeugnis für Christus. Sie ist dadurch gekennzeichnet, daß in ihr die höchste Schmerzbereitschaft (die sogar auf das »Heroische« zu verzichten weiß) unmittelbar bezogen ist auf die Bejahung des höchsten Wertes und der höchsten Wirklichkeit. Das gleiche gilt für die Grundweise christlicher Schmerzbereitschaft, für die Askese. Und auch der scheinbar sinnlose Untergang (etwa in einer der von Jünger angekündigten Katastrophen, die übrigens nach einem beherzigenswerten Wort der Gertrud von le Fort keineswegs »im blitzhaften Glanz transzendenter Engelgewitter« vor sich gehen werden, sondern in der »ganzen Größelosigkeit erbärmlichen Vernichtens und Vernichtetwerdens«) sowie der scheinbar sinnlose Schmerz enthält für den Christusgläubigen noch eine geheimnisreiche Möglichkeit der Bejahung des Seins in sich: nämlich die Möglichkeit der Hingabe an die Gemeinschaft des leidenden Menschensohnes. Doch das sind Dinge, über die man zu einem Nichtchristen nicht sprechen kann; und es wäre gut, sie wiederum einer Art von »Arkan-Disziplin« zu unterstellen. (1936)

14. November 2010

Tapferkeit und Martyrium

Das Gute setzt sich nicht von selbst durch. Es verwirklicht sich nur, wenn tapfere Menschen sich dafür einsetzen. Es ist einer der Grundirrtümer des Liberalismus, zu glauben, das Gute setze sich durch ohne den kampfbereiten Einsatz der Person. – Das Wesen der Tugend der Tapferkeit ist gerade nichts anderes als die Bereitschaft, sich einzusetzen für die Verwirklichung des Guten in der Welt und sich zur Wehr zu setzen gegen die Macht des Bösen. Der Tapfere ist bereit, in diesem Kampfe Verwundungen in Kauf zu nehmen, das heißt Dinge, die dem Menschen natürlicherweise zuwider sind, zum Beispiel: Mißverständnisse, Lächerlichkeit, Verachtung, Schaden an Leib und Gut. Ja, der Tapfere ist sogar bereit, in jenem Kampfe zu fallen. Solcher Tod im Kampfe für das Gute ist der höchste Erweis der Tapferkeit, und die Bereitschaft zu fallen ist ihr tiefster Kern.
Die größte Sache, für die ein Mensch sich überhaupt einsetzen kann, ist die Sache Jesu Christi. Darum ist das Blutzeugnis (Martyrium) für Christus die letzte und eigentlichste Form christlicher Tapferkeit. – Dem Blutzeugnis kommt an Rang in der Tapferkeit der Tod für die Gemeinschaft nahe, vor allem der Tod im gerechten Krieg für das Recht und den Frieden des eigenen Volkes.
Die Tapferkeit als Tugend setzt die Gerechtigkeit voraus. Das bedeutet, daß nur der Gerechte wirklich tapfer sein kann. Echte Tapferkeit gibt es nur im Kampfe für eine gerechte Sache. Der Mut des Verbrechers ist keine Tapferkeit. Thomas von Aquin sagt darum: »Das Lob der Tapferkeit hängt von der Gerechtigkeit ab.« Und der heilige Ambrosius: »Tapferkeit ohne Gerechtigkeit ist ein Hebel des Bösen.«
Die Tapferkeit eines Menschen zeigt sich nicht nur im Angriff, sondern auch im Standhalten. Ja, das Standhalten kann viel tapferer sein als der Angriff. Jeder Frontkämpfer weiß, daß der Sturmangriff nicht so viel sittliche Kraft zu fordern braucht wie das standhafte Aushalten im Trommelfeuer. Und auch das Martyrium, die Krone aller christlichen Tapferkeit, ist ja wesentlich Aushalten und Standhalten. – Darum gehört auch die Geduld mit zur Tugend der Tapferkeit. Geduld im echten christlichen Sinn ist nämlich nichts anderes als die Fähigkeit, in der gefahrvollsten Lage die Ruhe und den Gleichmut der Seele zu bewahren, auch angesichts der Übermacht des Bösen.
Diese Bereitschaft des tapferen Christen, im äußersten Ernstfall geduldig standhaltend zu fallen, bedeutet nicht, daß er auf den Angriff verzichtet. Die Tapferkeit des Angriffs empfängt vielmehr durch jene geduldige Bereitschaft eine Überlegenheit und eine innere Freiheit, die jedem krampfhaften Aktivismus, der die Geduld und das Standhalten als »unmännlich« verachtet, endgültig versagt bleiben. 
Josef Pieper

»Manisch-depressiv«

Die Welt ist von solcher Art, daß, wer sie eindringend erkannte, in abgründige Trauer fallen könnte: Gottes eigener Logos mußte, Mensch geworden, einen schlimmen und schmählichen Tod sterben; am Ende der Weltgeschichte steht die Weltherrschaft des Bösen; Thomas von Aquin sagt, der Geistgabe der Wissenschaft entspreche die Seligpreisung »Selig die Trauernden [...]«. 

Wer das bedenkt (und der Mensch kann dessen ja auch anders innewerden als in bewußter Reflexion), mag schon in unstillbares Weinen geraten und in tiefste Depression – die also keineswegs »gegenstandslos« und »unbegründet« sein muß.

Und anderseits: die Wirklichkeit ist, im Selben und auf nicht minder wirkliche Weise, so sehr vom Heil durchwirkt; sie ist so sehr und über alles Erdenkbare hinaus gehalten von der Liebe Gottes, daß, wer dies von Grund auf bedenkt und erkennt, darüber sehr wohl in eine, anscheinend gleichfalls »unbegründete« und tatsächlich durch keinen näheren und einzelnen Anlaß motivierte Freude geraten mag, welche schier die Fassungskraft des Gemütes sprengen kann. 

Wieso ist nun die Mittel-Lage das »Normale«? Und wodurch wird diese Normalität reguliert – etwa durch den physiologischen Zustand des innersekretorischen Apparats oder des Nervensystems? 
(J. Pieper 1947)



13. November 2010

Snoopy´s Buch

Schreiben wie Goethe

 Nachdem ich im Test "Ich schreibe wie?" zuerst mit von Kafka und danach wie Goethe abgeschnitten hatte, kamen mir so meine Zweifel über den Wert eines solchen technisierten Vorgehens. Sicher, wer mochte nicht schreiben können wie ...., doch sagt das tatsächlich soviel über die Qualifizierung des Schreibers aus? Mich erinnert dies an die technisch brillanten Sophisten, welche ja bekanntlich hervorragende Redner waren, jedoch inhaltlich recht daneben lagen, zumindest hatte Sokrates diese Meinung.
Es ist sicher wichtig gut schreiben zu können, weswegen ich eher Texte gescheiterer Mitmenschen als eigene einstelle, jedoch darf der inhaltliche Aspekt in keiner Weise vernachlässigt werden. Vollkommene Schreibkunst, mit Wahrheit und Weisheit vermählt, ist das Ideal. Doch im Zweifelsfall ziehe ich einen etwas holprigeren Stil vor, welcher sowohl Wahrheit als auch Weisheit zu vermitteln vermag. Wie wohl die biblischen (inspirierten) Autoren im obigen Test abschneiden wurden?
Dieser Text könnte von Goethe verfasst sein.

12. November 2010

Wenn nur «X» sich ändern würde! Teil 2

Ich sagte also: Wenn wir sehen, wie alle unsere Pläne an unseren schwierigen Mitmenschen scheitern, so können wir «in einem gewissen Sinne» nachfühlen, wie es erst für Gott sein muß. Aber nur in einem gewissen Sinne. In zweierlei Hinsicht muß Gottes Perspektive von der unseren sehr verschieden sein. Zum ersten: Er sieht (wie du), daß all die Menschen bei dir zu Hause oder an deinem Arbeitsplatz mehr oder weniger unangenehm oder schwierig sind; aber wenn er in diese Familie, in diese Fabrik oder in dieses Büro hineinschaut, so sieht er dort noch einen Menschen mehr vom gleichen Schlag - den einen, den du nie siehst. Und dieser eine bist du!
Das ist der nächste große Schritt zur Lösung deines Problems: zu erkennen, daß auch du selbst genau die gleiche Sorte Mensch bist. Auch du hast verhängnisvolle Eigenschaften. Alle Hoffnungen und Pläne anderer sind immer wieder an deiner Wesensart gescheitert, genauso wie deine Hoffnungen und Pläne an der ihren.
Es bringt uns nicht weiter, wenn wir uns schnell mit irgendeinem unbestimmten, allgemeinen Eingeständnis über diese Tatsache hinwegsetzen, wie: «Natürlich habe ich auch meine Fehler; wer hat das schon nicht!» Es ist wichtig, daß du das einmal ganz ernst nimmst: Auch du hast wahrhaft verhängnisvolle Eigenschaften, dunkle Punkte in deinem Wesen, die bei anderen genau dasselbe Gefühl verzweifelter Ohnmacht hervorrufen, das du selbst wegen ihrer Fehler so gut kennst. Und fast mit Sicherheit sind das Dinge, von denen du nichts weißt. Du hast sozusagen einen üblen Mundgeruch: alle merken ihn, nur du selbst nicht.
«Aber warum», fragst du, «sagen mir das die anderen denn nicht?» Glaube mir, andere haben oft genug versucht, es dir zu sagen, aber du konntest es einfach nicht fassen. Vielleicht ist eine ganze Menge von dem, was du ihre «Nörgelei» oder «schlechte Laune» oder «Unverträglichkeit» nennst, nichts anderes als ihr Versuch, dir die Wahrheit beizubringen. Und selbst die Fehler, um die du weißt, nimmst du meistens viel zu leicht. Du sagst: «Ich gebe zu, daß ich mich gestern abend gehenließ -- ich war einfach wütend», aber die anderen wissen, daß das bei dir an der Tagesordnung ist, weil du ein jähzorniger Mensch bist. Du sagst: «Ich gebe zu, daß ich am letzten Samstag zu viel getrunken habe», aber jedermann weiß, daß du ein Gewohnheitstrinker bist.
Das ist das eine, worin sich Gottes Sicht offenbar von der meinen unterscheidet: Er sieht all die schwierigen Charaktere; ich sehe alle - außer meinem eigenen. Aber es gibt noch ein zweites: Er liebt die Menschen trotz ihrer Fehler. Er hört nicht auf, sie zu lieben. Er gibt sie nicht auf. Sage nicht: «Das ist für ihn kein Problem; er muß ja nicht mit ihnen zusammenleben!» Doch, das muß er! Nicht nur äußerlich lebt er mit ihnen zusammen, sondern er wohnt sogar in ihrem Innern. Er hat sich viel inniger und enger und unablässiger mit ihnen verbunden, als wir es je könnten. Jeder böse Gedanke in ihrem Inneren (und in unserem), jede Regung von Haß, Neid, Überheblichkeit, Habgier und Eitelkeit stößt unmittelbar auf seine geduldige, ausharrende Liebe und bekümmert seinen Geist noch viel mehr als unseren.
Wenn wir in diesen zwei Dingen Gott zum Vorbild nehmen, dann wird sich unser Leben nach und nach verändern: Wir werden «X» immer mehr lieben; und wir werden einsehen, daß wir kein Haar besser sind als er. Manche Leute sagen, es sei krankhaft, immer an seine eigenen Fehler zu denken. Das wäre schön und gut - wenn wir nur damit aufhören könnten, ohne unsere Gedanken sofort an die Fehler der anderen zu hängen. Doch die meisten von uns können das nicht. Nein, wir genießen es geradezu, über die Fehler anderer Leute nachzudenken; und das ist im wahrsten Sinne des Wortes «krankhaft»: Es ist das morbideste Vergnügen der Welt.
Wir schätzen es im allgemeinen nicht, wenn uns Einschränkungen auferlegt werden. Aber eine Einschränkung sollte jeder von uns sich selbst auferlegen: Verzichte auf alles Nachdenken über die Fehler anderer Leute, es sei denn deine Pflichten als Lehrer oder als Vater oder Mutter erfordern es. Wenn immer solche Gedanken unnötigerweise in dir hochsteigen - warum stellst du sie nicht einfach ab und denkst statt dessen über deine eigenen Fehler nach? Denn an diesem Punkt kannst du, mit Gottes Hilfe, etwas ändern. Unter all den schwierigen Menschen bei dir zu Hause oder am Arbeitplatz gibt es nur einen einzigen, den du wirklich ändern kannst. Bei dem mußt du ansetzen. Und fang lieber heute schon damit an! Irgendwann muß diese Aufgabe doch einmal angegangen werden, und je länger du damit wartest, umso schwieriger wird es.
Weißt du, worum es letztlich geht? - Du siehst nun, daß nichts, nicht einmal Gott mit all seiner Macht, aus «X» einen wirklich glücklichen Menschen machen kann, solange «X» selbst neidisch, ichbezogen und boshaft bleiben will. Und du kannst sicher sein: Es gibt auch bei dir Dinge, die dich in Ewigkeit unglücklich machen, und nicht einmal Gott selbst kann dich davor bewahren, wenn sich bei dir nichts ändert. Solange du diesen Dingen Raum läßt, gibt es für dich genausowenig einen Himmel, wie es süße Düfte gibt für einen Mann mit einem Schnupfen oder Musik für einen Gehörlosen. Nicht daß Gott einen Menschen «in die Hölle schickt». Nein, im Herzen eines jeden von uns wächst etwas heran, das ganz von selbst unsere Hölle wird - wenn wir nicht zulassen, daß es mit Stumpf und Stiel ausgerottet wird. Das ist eine ernste Sache: Darum wollen wir uns doch gleich jetzt in Gottes Hand geben, heute noch, in dieser Stunde.


Teil 1

11. November 2010

Wenn nur «X» sich ändern würde! Teil 1

C.S. Lewis (1948)
Ich kann wohl annehmen, daß von den Lesern dieses Buches fast jeder mit irgendeinem anderen Menschen Schwierigkeiten hat, sei es am Arbeitsplatz oder zu Hause. Vielleicht ist es dein Arbeitgeber - oder einer deiner Angestellten, dein Hausmeister - oder dein Mieter; vielleicht ist es auch die Verwandtschaft deines Ehepartners - oder deine eigene, deine Eltern, deine Kinder, ja, deine Frau oder dein Mann ..., irgend jemand macht dir gerade jetzt das Leben schwerer, als es sein müßte. Wir tun gut daran, solche Konflikte möglichst nicht mit Außenstehenden zu besprechen, vor allem dann, wenn wir Probleme mit unseren eigenen Angehörigen haben. Aber manchmal passiert es uns doch. Ein Bekannter fragt uns, warum wir so bedrückt sind - und unversehens haben wir ihn zu unserem Vertrauten gemacht.
Höchstwahrscheinlich wird unser Bekannter nun einwenden: «Aber warum sagst du es denn nicht einfach? Warum gehst du nicht zu deinem Mann (oder deiner Frau, deinem Vater, deiner Tochter, deinem Chef, deiner Schlummermutter, deinem Untermieter ...) und sprichst dich einmal gründlich mit ihm aus? Die meisten Leute sind doch vernünftig. Man muß ihnen die Dinge nur begreiflich machen, das ist alles. Du kannst ihm sicher alles erklären, wenn du dabei nur sachlich, ruhig und freundlich bleibst.»
Vielleicht stimmen wir unserem Freund nach außen hin zu. Im Stillen aber denken wir resigniert: «Er kennt diesen X eben nicht! Ich kenne ihn! Ich weiß, wie völlig hoffnungslos es ist, X zur Einsicht zu bringen.» Vielleicht haben wir es schon unzählige Male versucht, aber ohne Erfolg, bis zum Überdruß. Oder wir haben es nie versucht, weil wir von Anfang an überzeugt waren, daß es nichts nützen würde. Wir wissen zum voraus, was geschehen würde, wenn wir versuchten, uns mit «X» «einmal gründlich auszusprechen»: Entweder würde es eine Szene geben; oder «X» würde aus allen Wolken fallen und sagen: «Ich verstehe überhaupt nicht, wovon du redest!» Oder aber - und das wäre wohl das Schlimmste - «X» würde alles einsehen und versprechen, daß es von jetzt an anders werden solle ..., und dann, vierundzwanzig Stunden später, wäre er wieder genau der gleiche «X» wie schon immer.
Ja, du weißt es wirklich: «X» hat einen verhängnisvollen Charakterzug, an dem jeder Versuch einer Aussprache mit ihm scheitern muß. Du kennst das schon lange: Eh und je haben sich deine Pläne an diesem einen Punkt zerschlagen: An «X's» krankhafter Eifersucht oder an seiner unverbesserlichen Faulheit oder an seiner Empfindlichkeit; an seiner Liederlichkeit oder an seiner Herrschsucht; an seinem unberechenbaren Wesen oder an seiner chronisch schlechten Laune ...
Bis zu einem gewissen Alter hast du vielleicht gehofft, daß ein äußeres Ereignis, ein Glücksfall, dein Problem lösen würde - eine Besserung deiner Gesundheit, eine Gehaltserhöhung, das Ende der Rezession. Aber diese Illusion hast du begraben. Die Wirtschaftskrise ist vorbei; aber «X» ist immer noch «X», und dir beginnt aufzudämmern, daß er es auch bleiben würde, wenn alle übrigen Hoffnungen in Erfüllung gingen. Du könntest Millionär werden - aber dein Mann wäre immer noch der alte Tyrann, oder deine Frau würde an dir herumnörgeln oder dein Sohn trinken, oder du müßtest noch immer das Zusammenleben mit deiner Schwiegermutter ertragen.
Es ist ein großer Schritt vorwärts, wenn man das einsieht. So ist es nun einmal: Selbst wenn es dir sonst in jeder Hinsicht gut ginge, wäre dein Glück noch davon abhängig, mit was für Menschen du zusammenleben mußt - und die kannst du nicht ändern. Dieser Tatsache mußt du dich stellen. Und weißt du, warum? - Weil du auf diese Weise eine leise Ahnung davon bekommst, wie es für Gott sein muß. Denn tatsächlich ist (in einem gewissen Sinn) genau das Gottes Schwierigkeit mit uns: Er hat den Menschen eine reiche, wunderbare Welt als Lebensraum zugedacht. Er hat ihnen den Verstand gegeben, damit sie das Geschaffene richtig nutzen können, und das Gewissen, damit sie in Verantwortung damit umgehen. Er hat es liebevoll so eingerichtet, daß alles, was die Menschen für ihre Existenz nötig haben (Essen, Trinken, Ruhe, Schlaf, Bewegung), ihnen lauter Lust und Vergnügen bringen sollte. Und trotzdem sieht er dann alle seine Pläne zunichte gemacht - genauso wie unsere kleinen Pläne zunichte gemacht werden - durch die Verkehrtheit und den unbegreiflichen Eigensinn der Menschen selbst. All die Dinge, mit denen er sie glücklich machen wollte, verkehren sie zu Anlässen für Streit und Eifersucht, für Maßlosigkeit, Habgier und sinnlose Verrücktheiten aller Art.
Du kannst einwenden, das sei doch für Gott ganz anders. Wenn er nur wolle, so könne er den Charakter eines Men­schen ändern - und eben das können wir nicht. Aber so anders, wie wir leichthin denken mögen, ist es doch nicht. Gott hat es sich selbst zum Grundsatz gemacht, niemals mit Gewalt den Charakter eines Menschen zu verändern. Er kann und will ihn verändern - aber nur, wenn der Mensch selbst es zuläßt. So hat er wirklich und wahrhaftig seiner Allmacht Grenzen gesetzt. Manchmal fragen wir uns, warum er das getan hat, oder wir wünschen sogar, er hätte es nicht getan. Aber offenbar denkt Gott darüber anders. Lieber will er das Risiko auf sich nehmen, seine Welt freien Geschöpfen anzuvertrauen, als sie mit Menschenwesen zu füllen, die rechttun wie Maschinen, weil sie gar nicht anders können. Stellen wir uns nur einmal vor, Gott hätte seine Welt mit lauter ferngesteuerten Robotern bevölkert! Beim bloßen Gedanken daran muß uns doch etwas von seiner Weisheit aufdämmern.


Teil 2

10. November 2010

Die geistliche Kommunion

Die Übung der geistlichen Kommunion sollte in keiner Ihrer Anbetungsstunden fehlen: Sie besteht in dem inbrünstigen Verlangen Jesus Christus in dem heiligsten Sakrament zu empfangen.

Das Konzil von Trient mahnt die Gläubigen sich in derselben fleißig zu üben. Gott selbst hat andächtigen Seelen öfters zu erkennen gegeben, wie wohlgefällig es Ihm ist, daß sie Ihn geistigerweise empfangen.

Der heilige Alfons Maria von Liguori erichtet: "Eines Tages ist Jesus der ehrwürdigen Mutter Paula Maresca, Stifterin des Klosters der heiligen Katharina von Siena zu Neapel, erschienen, und hat ihr zwei kostbare Gefäße gezeigt, von denen das eine von Gold, das andere von Silber war, sodann sprach Er zu ihr, daß Er in jenem von Gold die sakramentalen, in dem von Silber aber die geistlichen Kommunionen aufbewahre. - Ein anderes Mal hat Er zu der gottseligen Johanna vom Kreuz gesagt, daß, sooft sie die geistliche Kommunion empfange, Er ihr allezeit eine Gnade schenke, die einigermaßen derjenigen ähnlich ist, die Er ihr in  der sakramentalen Kommunion verleihe."

Die Übung der geistlichen Kommunion kennt auch keine Begrenzung der Anzahl oder sonstigen Bedingungen, nur die Sehnsucht mit Jesus vereint zu sein.