"Minimum quod potest haberi de cognitione rerum altissimarum, desiderabilius est quam certissima cognitio, quae habetur de minimis rebus."

"Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge zu gewinnen vermag, ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen"

(Thomas von Aquin: I, 1, 5 ad 1)

13. April 2011

DIE GUTHEIT GOTTES 2

Diese Lehre ist auch in der Heiligen Schrift enthalten. Christus ruft die Menschen zur Buße - ein sinnloser Ruf, wäre Gottes Maßstab ganz und gar verschieden von dem, den sie bereits kannten, von dem sie aber in ihrem Tun abgewichen waren. Er beruft sich auf unser tatsächliches sittliches Urteil : »Warum denn seht Ihr nicht Selbst, was Recht ist « [Luk. 12,57]. Gott weist die Menschen im Alten Testament zurecht auf Grund ihrer eigenen Vorstellungen von Dankbarkeit, Treue und Gerechtigkeit; Er stellt Sich Selber sozusagen vor den Richterstuhl Seiner eigenen Geschöpfe: »Was für eine Ungerechtigkeit haben Eure Vater an Mir gefunden, daß sie Mich verlassen haben ? « [Jer. 2,5].


Nach diesen Vorbemerkungen kann man, so hoffe ich, getrost den Gedanken aussprechen, daß manche, freilich selten mit so viel Worten dargestellte Vorstellung von Gottes Gutheit, die unser Denken zu bestimmen pflegt, der Kritik bedürftig ist. Unter dem guten Gott verstehen wir heutzutage fast ausschließlich den »lieben« Gott; und wir mögen damit auch recht haben. Aber mit Liebe meinen die meisten von uns in diesem Zusammenhang soviel wie Gutherzigkeit, d. h. den Wunsch, jemand anders glücklich zu sehen, nicht glücklich in diesem oder jenem Sinn, sondern einfachhin glücklich. Was uns wirklich passen konnte, das wäre ein Gott, der zu allem, was wir gerade gern taten, sagen wurde: »Was macht es schon, solange sie nur zufrieden sind ?« In der Tat, wir möchten nicht so sehr einen Vater im Himmel als vielmehr einen Großvater im Himmel - einen greisen Wohlmeiner, der es, wie man sagt, »gerne sieht, wenn die jungen Leute sich amüsieren «, und dessen Plan für das Universum einfach darauf hinausläuft, daß am Abend eines jeden Tages gesagt werden kann : »Es war für alle wundervoll«. Nicht viele Leute, das gebe ich zu, würden ihre Theologie mit genau diesen Worten formulieren; aber eine Vorstellung ungefähr dieser Art verbirgt sich im Hintergrund nicht weniger Köpfe. Und ich mache nicht den Anspruch, eine Ausnahme zu sein: ich würde sehr gern in einer Welt leben, die nach solchen Grundsätzen regiert würde. Aber da es über die Maßen klar ist, daß dies nicht der Fall ist, und da ich Grund habe; nichtsdestoweniger zu glauben, daß Gott die Liebe ist, so komme ich zu dem Schluß, meine Vorstellung von Liebe möchte einer Korrektur bedürfen.


Tatsächlich kann man schon von den Dichtern lernen, daß Liebe etwas Strengeres und Großartigeres ist als bloße Gutherzigkeit und Liebheit, daß selbst die Liebe zwischen den Geschlechtern »ein Herrscher schrecklichen Anblicks« ist, wie es bei Dante heißt. Es gibt Gutherzigkeit in der Liebe; aber Liebe und Gutherzigkeit sind begrifflich nicht gleichen Umfangs, und wenn Gutherzigkeit [in dem oben angegebenen Sinn] von den andern Elementen der Liebe getrennt wird, schließt sie eine gewisse grundsätzliche Indifferenz gegenüber ihrem Objekt ein und sogar etwas wie Verachtung. »Gutherzigkeit« kann sehr bereitwillig der Beseitigung ihres Objektes zustimmen - wir alle sind Leuten begegnet, deren »Güte« gegenüber Tieren sie fortgesetzt dazu führt, Tiere zu töten, damit sie nur ja nicht leiden. Gutherzigkeit, rein als solche, kümmert sich nicht darum, ob ihr Objekt gut oder schlecht wird, sofern es nur nicht leiden muß. Es sind aber, wie die Heilige Schrift zeigt, die Bastarde, die verwöhnt werden; die rechtmäßigen Söhne, welche die Tradition der Familie weitertragen sollen, werden gezüchtigt [Hebr. 12,8]. Gerade für Leute, an denen uns nichts liegt, erbitten wir Glück um jeden Preis. An unsere Freunde, an unsere Geliebten, an unsere Kinder stellen wir höhere Ansprüche; wir sähen es lieber, daß sie sehr leiden, als daß sie glücklich wären auf eine Weise, die sie so uns verächtlich macht und entfremdet. Wenn Gott die Liebe ist, ist Er also, laut Definition, etwas Größeres als bloße »Güte«. Und alle Berichte zeigen es deutlich: obwohl Er uns oft getadelt und schuldig gesprochen hat, Er hat uns niemals mit Verachtung angesehen. Er hat uns die unerträgliche Ehre erwiesen, uns zu lieben - in dem tiefsten, tragischsten, unerbittlichsten Sinn, den dies Wort nur haben kann.


(Über den Schmerz, S. 47-49)

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