Endlich ist noch von einer Analogie zu sprechen, die höchst gefährlich ist und von viel begrenzterer Anwendungsmöglichkeit; und doch ist gerade sie die im Augenblick für unser besonderes Anliegen geeignetste Analogie. Ich meine die zwischen Gottes Liebe zu dem Menschen und eines Mannes Liebe zu einer Frau. Sie wird in der Schrift freimutig angewendet. Israel ist ein treuloses Eheweib, aber sein himmlischer Gemahl kann die glücklicheren Tage nicht vergesse: »Ich denke an dich, an die Freundlichkeit deiner Jugend, an die Liebe deiner Hochzeit, als du mir nachfolgtest in die Wildnis« [Jer. 2, 2]. Israel ist die arme Braut, das heimatlose Kind, das der Liebende verlassen am Wegrand findet und das er kleidet und schmückt und zu einer Augenweide macht, und doch hat es ihn verraten [Ezech. 16, 6-15]. »Ehebrecherinnen« nennt uns der heilige Jakobus, weil wir uns hinwegstehlen zur »Freundschaft mit der Welt«, während Gott »eifersüchtig sich nach dem Geiste sehnt, den Er uns eingepflanzt hat« [Jak. 4, 5]. Die Kirche ist die Braut des Herrn, die er so sehr liebt, daß er keinen Flecken und keine Runzel an ihr ertragt [Eph. 5,27]. - Die Wahrheit, zu deren Verdeutlichung diese Analogie dient, ist, daß die Liebe kraft ihres eigenen Wesens nach der Vervollkommnung des Geliebten verlangt; daß die bloße »Gutherzigkeit«, die alles duldet, nur nicht, daß der Geliebte leide, in diesem Betracht das Gegenteil von »Liebe« ist. Wenn wir eine Frau lieben - hören wir dann etwa auf, uns darum zu kümmern, ob sie sauber oder schmutzig, schon oder häßlich ist? Beginnen wir nicht gerade dann erst, uns darum zu kümmern ? Betrachtet irgendeine Frau es als ein Zeichen der Liebe des Mannes, daß er weder weiß noch sich darum kümmert, wie sie aussieht? Liebe vermag sehr wohl die Geliebte zu lieben, wenngleich ihre Schönheit dahin ist; aber nicht, weil sie dahin ist. Liebe kann alle Schwächen vergeben und ihnen zum Trotz lieben; aber Liebe kann nicht aufhören, zu wünschen, daß sie verschwinden. Liebe ist empfindlicher als selbst der Haß gegen jeden Makel an dem Geliebten; ihr »Gefühl ist feiner und empfindsamer als die zarten Fühler sich windender Schnecken«. Von allen Mächten verzeiht die Liebe am meisten, aber sie entschuldigt am wenigsten; sie erfreut sich an wenig, aber sie verlangt alles.
Wenn das Christentum sagt, daß Gott den Menschen liebe, so ist gemeint, daß Gott den Menschen liebe - nicht daß Er sich auf irgendeine »desinteressierte«, unbeteiligte Weise mit unserm Wohlergehen befasse, sondern daß wir, eine schauererregende und überraschende Wahrheit, der Gegenstand Seiner Liebe sind. Du verlangst nach einem »lieben« Gott. Du hast ihn. Der große Geist, den du so leichtfertig beschworen hast, der »Herrscher schrecklichen Anblicks« ist anwesend: nicht ein greisenhafter Wohlmeiner, der dir schläfrig wünscht, nach deiner eigenen Façon glücklich zu sein; nicht die kalte Philanthropie einer gewissenhaften Obrigkeit, noch auch die Sorge eines Gastgebers, der sich für das Wohlbefinden seiner Gaste verantwortlich fühlt. Sondern: das verzehrende Feuer Selbst, die Liebe, welche die Welten erschuf, beharrlich wie des Künstlers Liebe zu seinem Werk, herrisch wie eines Menschen Liebe zu seinem Hund, fürsorglich und ehrwürdig wie eines Vaters Liebe zu seinem Kind, eifersüchtig, unerbittlich, streng wie die Liebe zwischen den Geschlechtern. Wie dies möglich sein soll, weiß ich nicht. Es ist über die Vernunft, erklären zu wollen, warum irgendein Geschöpf, geschweige denn ein Geschöpf wie wir, in des Schöpfers Augen einen so ungeheuern Wert haben konnte. Es ist wahrhaftig eine Bürde von Herrlichkeit, die nicht nur über das hinausgeht, was wir verdienen, sondern auch über das, wonach wir, außer in seltenen Augenblicken der Gnade, verlangen. Wir neigen dazu, wie die Mädchen in dem alten Spiel, die Liebe des Zeus abzuweisen. Aber die Tatsache dieser Liebe steht, so scheint es, außer Frage. Der Leidensunfähige redet, als sei er verzehrt von Leidenschaft; und der in Sich Selbst die Quelle seiner eigenen und aller Glückseligkeit sonst enthält, spricht, wie wenn er vor Verlangen verschmachten könnte. »Ist nicht Ephraim der Sohn, den ich ehren will, ist er nicht mein zärtlich Kind? denn seit ich von ihm rede, gedenk' ich sein auch; darum ist mein Inneres in Bewegung um seinetwillen« [Jer. 31,20]. »Was soll ich mit dir machen, o Ephraim; wie könnte ich dich verlassen, Israel? Mein Herz wendet sich um in mir« [Osee 1 11,8]. »Jerusalem, wie oft wollte ich deine Kinder versammeln, wie eine Henne ihre Küchlein versammelt unter ihren Flügeln, doch du hast nicht gewollt« [Matth. 23,37].
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