"Minimum quod potest haberi de cognitione rerum altissimarum, desiderabilius est quam certissima cognitio, quae habetur de minimis rebus."

"Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge zu gewinnen vermag, ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen"

(Thomas von Aquin: I, 1, 5 ad 1)

18. April 2011

DIE GUTHEIT GOTTES 6

Die Wahrheit ist, daß der Gegensatz zwischen selbstischer und uneigennütziger Liebe nicht ohne weiteres auf die Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen angewandt werden kann. Interessengegensätze und also Gelegenheit zu Selbstsucht oder Selbstlosigkeit gibt es nur bei Wesen, die in einer gemeinsamen Welt leben, Gott aber kann ebensowenig der Rivale seines Geschöpfes sein, wie Shakespeare mit Viola in Konkurrenz treten kann. Wenn freilich Gott Mensch wird und als ein Geschöpf unter Seinen eigenen Geschöpfen in Palästina lebt, dann allerdings ist Sein Leben äußerste Selbstaufopferung, bis zu Golgatha hin. Ein moderner pantheistischer Philosoph hat gesagt: »»Wenn das Absolute ins Meer fallt, wird es ein Fisch.« Im gleichen Sinn können wir Christen auf die Menschwerdung zeigen und sagen: wenn Gott Sich Selbst Seiner Herrlichkeit entäußert und Sich unter Bedingungen stellt, die allein den Worten »Selbstsucht« und »Uneigennützigkeit« eine klare Bedeutung geben, dann erweist Er Sich als ganz und gar uneigennützig. Aber Gott in Seiner Transzendenz, Gott als der nichtbedingte Urgrund alter Bedingung, kann nicht leichthin in der gleichen Weise gedacht werden. Wir nennen menschliche Liebe dann selbstsüchtig, wenn sie ihre eigenen Bedürfnisse befriedigt auf Kosten der Bedürfnisse des Geliebten - wenn etwa ein Vater seine Kinder zu Hause hält, weil er nicht auf ihre Gesellschaft verzichten kann, während sie doch, um ihres eigenen Interesses willen, in die Welt hinaus müßten. In dieser Situation ist also zunächst ein Bedürfnis oder ein Verlangen auf seiten des Liebenden, ferner ein dem entgegenstehendes Bedürfnis auf seiten des Geliebten, und schließlich auf seiten des Liebenden die Nichtbeachtung oder ein schuldhaftes Nichtkennen der Bedürfnisse des Geliebten. Nichts hiervon findet sich in der Beziehung Gottes zum Menschen. 



Gott hat keine Bedürfnisse. Menschliche Liebe ist, wie Platon uns lehrt, das Kind der Armut, eines Bedürfens also oder eines Mangels; sie wird hervorgerufen durch ein, wirkliches oder vermeintliches, Gut im Geliebten, dessen der Liebende bedarf und wonach er verlangt. Gottes Liebe aber wird nicht nur nicht hervorgerufen durch die Gutheit des Geliebten; sondern sie Selbst ruft jegliche Gutheit im Geliebten hervor: Er liebt den Geliebten zuerst ins Dasein und dann in eine zwar abgeleitete, aber dennoch wirkliche Liebenswürdigkeit hinein. Gott ist Gutheit. Er vermag das Gute zu geben; aber es ist undenkbar, daB Er seiner bedürfte oder es erst erlangte. In solchem Sinn ist, kraft Definition, all Seine Liebe sozusagen bodenlos uneigennützig; sie hat alles zu geben und nichts zu empfangen. Wenn daher Gott manchmal so spricht, als könnte der Leidensunfähige.leiden und die Ewige Fülle bedürftig sein, und zwar bedürftig jener Wesen, denen sie ja, angefangen von der baren Existenz, alles schenkt - dann kann das nur bedeuten [wenn es überhaupt etwas uns Faßbares bedeutet], daß Gott durch ein reines Wunder Sich Selbst in den Stand gesetzt hat, hungern zu können, und daß Er in Sich Selbst erst das erschaffen hat, was durch uns gestillt werden kann. Wenn Er nach uns verlangt, dann ist es ein von Ihm Selbst gewolltes Verlangen. Wenn das Unveränderliche Herz betübt werden kann durch die von ihm selbst geschaffenen Marionetten, dann ist es einzig die göttliche Allmacht, wodurch es so untertan gemacht worden ist, in voller Freiheit und in einer Herablassung, die alles Verstehen übersteigt. - Wenn aber die Welt nicht zumeist um deswillen existiert, damit wir Gott, sondern damit Gott uns lieben könne, so ist dies, in tieferem Sinn, dennoch um unsertwillen so. Wenn Er, Dem in Sich Selber nichts mangeln kann, unser bedürfen will, so geschieht dies, weil wir es brauchen, daß man uns braucht. Vor und hinter allen Beziehungen Gottes zum Menschen, wie wir sie jetzt aus dem christlichen Glauben kennen, tut sich der Abgrund eines reinen göttlichen Schenkens auf: die Erwählung des Menschen aus dem Nichtsein zum Gott-Geliebten und also, in gewissem Sinn, zu dem, dessen Gott bedarf und nach dem Er Sich sehnt - wohingegen Er für jenen Akt selbst nichts braucht und nichts verlangt, da Er ja von Ewigkeit her alle Gutheit hat und Selber ist. Und jener Akt geschieht um unsertwillen. Es ist gut für uns, die Liebe zu kennen; und es ist auf die höchste Weise gut für uns, die Liebe zu dem auf die Höchste Weise Guten zu kennen, zu Gott. Aber sie zu denken als eine Liebe, in der erstlich wir die Werbenden waren und Gott der Umworbene; in der wir suchten, und Er wäre der Gefundene; in der Seine Übereinstimmung mit unsern Bedürfnissen, nicht die unsere mit den Seinen zuerst käme - dies hieße den wahren Sachverhalt verkehren. Denn wir sind nur Geschöpfe: es muß so sein, daß unsere Rolle immer die des Erleidenden ist im Verhältnis zum Handelnden, des Weiblichen zum Männlichen, des Spiegels zum Licht, des Echos zur Stimme. Es muß so sein, daß unsere höchste Aktivität Antwort ist, nicht Initiative. Die Liebe Gottes erfahren in echter und nicht in trügerischer Gestalt, heißt also, sie erfahren als unsere Hingabe an Sein Verlangen, als unsere Obereinstimmung mit Seinem Wunsche; sie in entgegengesetzter Weise erfahren ist so etwas wie ein Verstoß gegen die Grammatik des Seins. Ich leugne natürlich nicht, daß wir auf einer bestimmten Stufe mit Recht davon sprechen können, die Seele suche Gott, und Gott empfange oder nehme entgegen die Liebe der Seele: aber aufs Ganze gesehen kann die Suche der Seele nach Gott nur eine Erscheinungsweise Seiner Suche nach der Seele sein, weil ja alles von Ihm kommt, weil sogar die Möglichkeit, Ihn lieben zu können, Sein Geschenk an uns ist, und weil unsere Freiheit nur die Freiheit ist, besser oder schlechter zu antworten. Daher zeigt sich, glaube ich, der Unterschied zwischen heidnischem Theismus und christlichem Glauben nirgends so deutlich wie in der Lehre des Aristoteles, daß Gott, selber unbewegt, das Universum bewege, wie der Geliebte den Liebenden. Für das Christentum aber gilt: »Hierin besteht die Liebe, nicht daß wir Gott geliebt haben, sondern daß Er uns geliebt hat« [1 Joh. 4, 10].

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