"Minimum quod potest haberi de cognitione rerum altissimarum, desiderabilius est quam certissima cognitio, quae habetur de minimis rebus."

"Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge zu gewinnen vermag, ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen"

(Thomas von Aquin: I, 1, 5 ad 1)

18. April 2011

DIE GUTHEIT GOTTES 7

Die erste Voraussetzung also für das, was unter Menschen selbstische Liebe genannt wird, fällt dahin im Hinblick auf Gott. Er hat keine natürlichen Notdürfte, keine Leidenschaften, die mit Seinem Wunsch nach des Geliebten Wohlergehen rivalisieren konnten. Und wenn in Ihm etwas ist, daß wir uns denken dürfen unter dem Bilde einer Leidenschaft und eines Verlangens, dann besteht es kraft Seines eigenen Willens und um unsertwillen. Aber auch die zweite Voraussetzung fehlt. Es mag geschehen, daß die wahren Interessen eines Kindes nicht identisch sind mit dem, was seines Vaters Zuneigung instinktiv von ihm will; denn das Kind ist ein vom Vater unterschiedenes Wesen, dessen Natur ihre eigenen Bedürfnisse hat. Das Kind ist nicht allein für den Vater da, und seine Vollendung besteht nicht allein darin, von ihm geliebt zu werden; außerdem versteht der Vater sein Kind nicht ganz und gar. Die Geschöpfe aber sind nicht auf solche Weise von ihrem Schöpfer getrennt, noch ist es möglich, daß Er sie mißversteht. Der Platz, für den Er sie in Seinem Weltentwurf bestimmt, ist der Platz, für den sie »geschaffen« sind. Wenn sie ihn erreichen, dann ist ihre Natur gestillt, und ihr Glück ist Wirklichkeit geworden. Wenn wir nicht so sein wollen, wie Gott uns will, dann wollen wir in der Tat etwas, das uns unmöglich glücklich machen kann. Jene göttlichen Forderungen, die unserm natürlichen Ohr weit eher als die eines Despoten klingen denn die eines Liebenden, leiten uns genau dahin, wohin wir selbst gehen würden, wenn wir nur wüßten, was wir wirklich wollen. Er verlangt nach unserer Verehrung, nach unserm Gehorsam, nach unserer Anbetung. Glauben wir denn, dies konnte Ihm irgendwie »zugutekommen«? Fürchten wir denn, wie der Chor bei Milton, daß menschliche Unehrenbietigkeit »eine Minderung Seiner Glorie« zustandebringen könnte? Ein Mensch vermag, indem er sich weigert, Ihn anzubeten, ebensowenig Gottes Glorie zu mindern, wie ein Wahnsinniger die Sonne auslöschen kann, indem er das Wort »Dunkelheit« auf die Mauern seiner Zelle kritzelt. Aber Gott will unser Gutes, und unser Gutes ist, daß wir Ihn lieben [mit jener den Geschöpfen eigenen antwortenden Liebe]; und um Ihn zu lieben, müssen wir Ihn kennen; kennen wir Ihn aber, dann werden wir in der Tat auf unser Angesicht niederfallen. Tun wir es nicht, so zeigt das nur, daß, was wir zu lieben versuchen, noch nicht Gott ist - obwohl es vielleicht die nächste Annäherung an Gott ist, die unser Denken und unsere Phantasie zustande zu bringen vermag. Wir sind aber nicht nur zur Anbetung und Ehrfurcht aufgerufen, sondern zu einer Widerspiegelung göttlichen Lebens, zu einer geschöpflichen Teilhabe an den göttlichen Attributen, die weit hinausliegt über unser gegenwärtiges Verlangen. Wir sind aufgefordert, »Christum anzuziehen«, zu werden wie Gott. Ob wir wollen oder nicht - dies besagt : Gott beabsichtigt, uns zu geben, was wir brauchen, nicht, was wir jetzt zu brauchen meinen. Noch einmal, was uns in Verlegenheit bringt, ist die Unerträglichkeit der Ehrung, nicht ein Zuwenig, sondern ein Zuviel an Liebe. Doch vielleicht reicht selbst diese Betrachtungsweise noch nicht an die Wahrheit heran. Es ist nicht so, daß Gott gerade uns willkürlich zu solchen Wesen geschaffen hatte, deren einziges Gut Er selber ist. Vielmehr ist Gott das einzige Gut aller Kreatur; und es kann gar nicht anders sein, als daß jede Kreatur ihr Gut finde in jener Art und jenem Maß, Gottes zu genießen, die ihrer Natur jeweils eigentümlich sind. Die Art und das Maß mögen verschieden sein, je nach der Natur des Geschöpfes; aber daß es jemals ein anderes Gut geben könnte, ist ein atheistischer Traum. An einer Stelle, die ich jetzt nicht finden kann, läßt George Macdonald Gott zu den Menschen sprechen : »Ihr müßt stark sein mit meiner Stärke und selig mit meiner Seligkeit, denn ich habe nichts anderes, das ich euch geben könnte.« Das ist die Zusammenfassung des Ganzen. Gott gibt, was Er hat, nicht was Er nicht hat : Er schenkt die Glückseligkeit, die es gibt, nicht die Glückseligkeit, die es nicht gibt. Entweder Gott sein; oder Gott ähnlich sein und an Seiner Gutheit in geschöpflicher Antwort teilhaben; oder unglückselig sein - das sind die einzigen drei Möglichkeiten, die es gibt. Wenn wir nicht lernen wollen, die einzige Nahrung zu essen, die das Weltall hervorbringt, die einzige Nahrung, die irgendein denkbares Weltall irgendwann hervorbringen kann - dann müssen wir auf ewig Hunger leiden.

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