Zehn Tage danach ein völlig anderes Bild: die ganz und gar indianische Fiesta in Santo Domingo! – Ich halte mich während dieser Ausfahrt möglichst in der Nähe des ungewöhnlich kundigen Senor Suarez, der sich bereitgefunden hat, uns zu begleiten. Er selbst hat indianisches Blut; seine aus Santo Domingo stammende Großmutter ist, als ein spanisch sprechender Amerikaner, ein »Chicano«, sie heiratete, aus dem Stammesverband ausgestoßen worden. Der Enkel aber hat viele Freunde unter den Indianern dieser gleichen Siedlung. Und natürlich ist er mit den Riten der nun gefeierten Fiesta bis ins einzelne vertraut. – Nach Santo Domingo kommen an diesem Tag von weit her Hunderte von schaulustigen Amerikanern. Sie werden von den durchaus geschäftstüchtigen Indianern sogleich auf wohlausgebaute Parkplätze geleitet und so in gebührender Distanz von ihrem Dorf gehalten. Zugleich mit dem Parkschein, der übrigens ganze fünf Dollar kostet, wird ihnen ein Merkblatt übergeben, auf dem einige, für Amerikaner recht einschneidende Verbote aufgeführt sind, deren Beobachtung, wie sich nachher zeigt, streng überwacht wird: »absolut« kein Fotografieren, keine Tonband-Aufnahmen und kein Alkohol! – Als wir eintreffen, ist das Fest schon in vollem Gang. An die zweihundert Männer und Frauen bilden, nach dem Geschlecht in getrennte Viererreihen geordnet, einen dichtgefügten Block von Tänzern, der sich kaum vom Fleck bewegt. Die Frauen allesamt barfüßig, damit, so sagt unser Begleiter, die Fruchtbarkeit der Erde in ihren Schoß hinaufdringen kann; alle Männer tragen Stiefel, doch ist ihr Oberkörper nackt. Im prallen Sonnenschein sieht man, wie ihnen der Schweiß in Strömen über die Brust rinnt. Der Tanz besteht in einer wiegenden Bewegung des Körpers und in einem rhythmischen Stampfen der Füße. Die Frauen halten einen Pinienzweig in der Hand, die Männer eine mit Kernen gefüllte Kürbis-Rassel. Ein Chor von etwa dreißig-vierzig Männern, der gleichfalls seinen Standort nicht verändert, singt dazu; die Worte ihres Gesanges, der nur scheinbar aus bloßen vokalischen Rufen besteht, sind genau festgelegt; und auch den Tänzern ist, wie uns gesagt wird, keine Abweichung von dem nicht leicht durchschaubaren Rhythmus erlaubt. Nachdem der Tanz, durch kurze Pausen unterbrochen, mehrere Stunden gedauert hat, ziehen die Tänzer, die völlig erschöpft sein müssen, in einer einzigen langen Reihe zu dem mitten auf der Plaza aus grünen Zweigen aufgerichteten Gehäuse, welches das Standbild des Heiligen birgt; bevor sie hineingehen, werden ihnen von älteren Frauen Brote und auch Kerzen in die Hand gegeben, die vor dem Heiligen niedergelegt und später, als nunmehr geweihte Gaben, unter die Dorfbewohner verteilt werden. Schließlich steigen die Männer in den unterirdischen Kultraum (Kiwa) hinab, den zu betreten sonst niemandem gestattet ist; man sieht nur die oberen Sprossen einer Leiter aus dem Einstieg herausragen. Dort werden die kultischen Gewänder abgelegt, mit denen man sich eben dort zuvor bekleidet hat. Die Touristen klatschen lange Beifall, als sei das Ganze ein Schaustück und eine folkloristische Darbietung. Die Indianer jedoch, auch das steht auf dem Merkblatt zu lesen, betrachten ihren Tanz als ein Gebet, das »Gott, unserem Vater, sagen soll, daß wir ihn lieben – wie auch Dominikus es auf seine Weise tat«. – Von unserem Begleiter hören wir, für ihn sei es ganz undenkbar, seine Freunde, etwa während einer Tanzpause, zu begrüßen und mit ihnen über dies und jenes zu reden; sie würden sich sogar so verhalten, als sei er ihnen überhaupt nicht bekannt. »So lange sie ihr kultisches Gewand tragen, sind sie in einer anderen Welt.«
Noch am gleichen Abend, bei der kritischen Besprechung der Meßfeier, habe ich, mit einiger Arglist, die Rede auf genau diesen Punkt gebracht, mit der unumwundenen Behauptung, diese für die Indianer offenbar selbstverständliche Sache sei für uns »nachkonziliare« Christen von höchster Aktualität. Nicht selten hatte ich es erlebt, daß ein Priester nach dem Gemeindegottesdienst im Meßgewand geradewegs vom Altare auf den Vorplatz ging, um dort, vielleicht gar eine Zigarette rauchend, mit seinen Pfarrkindern zu plaudern.
Meine These also war, es handle sich hier um eines der uns weithin abhanden gekommenen praeambula sacramenti. Wiederum war es gar nicht leicht, und ich zweifle ein wenig, ob es mir gelungen ist, diesen Klerikern begreiflich zu machen, was die »heiligen Gewänder« bedeuten, und daß der Priester, der eine »heilige Handlung« zelebriert, sich wirklich für diese Spanne Zeit in einer »anderen« Welt befindet. – In der Tat, bei den Indianern gab es erstaunlich viel zu lernen, gerade für die »Kunst des Feierns«.
Wie es allerdings, aufs Ganze gesehen, um die Kirchlichkeit dieser vor mehr als dreihundert Jahren durch spanische Franziskaner zum Christentum bekehrten Indianer bestellt sei, habe ich nicht herauszufinden vermocht. Wer danach fragt, bekommt wenig befriedigende Antworten. Zwanzig Jahre zuvor schon (1950) hat mir einer der Missionare in Santa Fe berichtet, hin und wieder werde ein Mädchen zu ihm geschickt mit der Botschaft, am nächsten Sonntag komme er, der Priester, besser nicht in die Gemeinde. »Dann vollführen sie ihre heidnischen Traumtänze.« Ich hatte schon von Totengedächtnis-Riten im »Kiwa« gehört; man sprach auch von »Ahnenkult«. Und so fragte ich zurück, was er unter »Heidentum« verstehe. Darauf bekam ich eine eindeutige Antwort: »Verehrung falscher Götter!« – Einer unserer Kursteilnehmer, Pfarrer in Albuquerque, sagte, seines Wissens sei noch kein Indianer, jedenfalls keiner aus dem Stamm der Pueblos, jemals katholischer Priester geworden; und als 1954 oder 1955 einmal drei junge Indianer ins Priesterseminar eingetreten seien, hätten ihre Leute sie einfach umgebracht. Ich konnte es kaum glauben. Welch ein Land!
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