"Minimum quod potest haberi de cognitione rerum altissimarum, desiderabilius est quam certissima cognitio, quae habetur de minimis rebus."

"Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge zu gewinnen vermag, ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen"

(Thomas von Aquin: I, 1, 5 ad 1)

20. Januar 2011

Schöpfung und Sakrament 3

Die Absicht des heiligen Thomas ist deutlich: man könne nicht die fundamentale Wirklichkeit des christlichen Glaubens verstehen, die Menschwerdung des Logos, es sei denn, man akzeptiere die Wahrheit, daß die sichtbare Welt und sogar das »Fleisch«, in welchem Adam schwach wurde, dennoch etwas im Grunde Gutes sei. 


Es ist also nicht im mindesten überraschend, daß Thomas diese allgemeine These häufig genug wiederholt in seinen Traktaten über die einzelnen Sakramente. Es hat sogar den Anschein, daß diese Einsicht in den inneren Zusammenhang von Schöpfungsordnung und sakramentlicher Ordnung immer kräftiger hervortritt, je mehr das Werk des heiligen Thomas sich seinem Ende zuneigt. So ist es gerade der letzte Traktat der Summa theologica, den Thomas im letzten Jahr seines Lebens vollendet hat, worin sich der Gedanke ausgesprochen findet, den er freilich auch schon in der Summe wider die Heiden auf sehr prinzipielle Weise und fast im Ton der Beschwörung formuliert hatte: »[...] damit nur ja niemand glauben möge, die sichtbaren Dinge seien böse in sich selbst und aus diesem Grunde hätten die Menschen gesündigt, die ihnen nachgehangen hätten« (die Menschen haben gesündigt – nicht dies wird hier bestritten; und die Menschen sind den sichtbaren Dingen nachgelaufen – auch dies steht hier nicht zur Rede; es kommt darauf an, zu sehen, daß es nicht diese Hinneigung zu den sichtbaren Dingen ist, worin die Sündhaftigkeit jenes Tuns formell bestand; und so fährt Thomas fort): »[...] darum war es sinnvoll, daß es gerade die sichtbaren Dinge sind, in welchen dem Menschen die Arznei des Heiles dargeboten ist«: in den Sakramenten. 

Dies alles bedeutet: niemals kann einer die Grundwahrheit aller Sakramententheologie verstehen, daß nämlich die natürlich-sichtbaren Dinge zu »Realsymbolen« des Heiles werden, zu Symbolen also, welche die Realität des Heiles sowohl bedeuten wie auch enthalten – es sei denn, er setze als wahr voraus, daß diese natürliche Welt gut ist in sich selbst, sogar »sehr gut«, und zwar aufgrund der Erschaffung, aufgrund ihres Ursprungs aus dem gleichen Logos, welcher in Christus Mensch geworden ist. Anderseits: diese Haltung der Bejahung gegenüber der natürlichen Schöpfung bezieht wiederum neue und kräftigere Argumente gerade aus der Theologie der Sakramente. 

Hat dies alles irgendwelche »praktische« Bedeutung? Ich glaube wohl. Vor allem von zwei Dingen könnte hier gesprochen werden. 
Erstens: wo immer die Menschen keinen rechten Sinn oder gar nicht einmal die notdürftigste Vorstellung von der Theologie des Sakramentes und von der Liturgie der Kirche haben, da mag es vielleicht vonnöten sein, zunächst das Verständnis zu wecken für die natürliche Gutheit der natürlich-sichtbaren Welt. Vielleicht kommt es in solchem Fall nicht schon vor allem darauf an, die eigentlichst übernatürlichen Wahrheiten zu verkündigen und zu erläutern, sondern eher darauf, deutlich zu machen, daß und wieso die natürlichen sichtbaren Dinge, aufgrund ihrer wesenhaften natürlichen Gutheit, fähig sein können, »reale Symbole« der höchsten Gutheit Gottes, nämlich seiner Gnade, zu werden. 

Eine zweite Folgerung mag diese sein: wo immer der heutigentags neu erwachte Sinn für die Liturgie zu irgendeiner Form von Spiritualismus führt, da sollte gefragt werden, ob wirklich die Liturgie und die Sakramente in der rechten Weise aufgefaßt sind; ob wirklich die Einsicht realisiert ist, daß und warum die Sakramente die Gutheit der sichtbaren Schöpfung voraussetzen. 

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