Eine schlechterdings unglaubliche »Indianer-Geschichte« aber habe ich auf dem Weg zu unserem Mittagsmahl vernommen, und ich hätte sie dem Erzähler keinesfalls abgenommen, wäre er nicht ein durch sie persönlich Betroffener und dadurch legitimiert gewesen. Ort der Handlung: Isleta, ein Indianerdorf in Neu-Mexiko. Hauptakteur: der Pfarrer dieser Gemeinde, ein Priester deutscher Abstammung. Die Indianer von Isleta pflegten am Tag nach Weihnachten die Krippe aus der Kirche zu holen und sie in eine auf der Plaza errichtete »Laubhütte« zu bringen und dann vor dem Christkind zu tanzen. Der Pfarrer nun fand, dies sei ein unchristlicher Brauch und beschloß, ihm ein Ende zu machen. Es war ihm natürlich bekannt, daß die Indianer nur auf der nackten Erde tanzen können. Und so kam er auf den Gedanken, die ungepflasterte Plaza mit einer Betondecke zu versehen, was dann auch geschah. Nun aber besitzen die Indianer in bezug auf Gerichtsbarkeit und Polizei eine gewisse Autonomie. Und sie forderten den Pfarrer auf, vor ihrem Rat zu erscheinen; dort fragte man ihn feierlich, ob er die Absicht habe, die religiösen Bräuche ihres Stammes abzuschaffen. Der Pfarrer, ein offenbar unerschrockener Mann, erklärte jedenfalls das Tanzen vor dem Christkind als einen unchristlichen Brauch, den er nicht dulden werde. Daraufhin wurden ihm Handschellen angelegt; man brachte ihn an die Grenze der Reservation, wo man ihn freiließ, ihm aber klar zu verstehen gab, er solle sich hier nur ja nicht wieder blicken lassen. An diesem Punkt des Berichts blieb ich stehen und fragte: »Wie lange liegt das alles zurück?« – »Genau fünf Jahre!« – »Es ist also 1965 passiert?« – »Ja! Aber ›mittelalterlich‹ ist erst das, was nun kommt!« – Jetzt war nämlich der Bischof am Zuge; er konnte ja zu dem Geschehenen nicht einfachhin schweigen; er mußte etwas tun. Aber was er dann tat, war schrecklich: er verhängte das Interdikt, das heißt, er verbot in der Gemeinde jede gottesdienstliche Handlung, außer das Sterbesakrament. Die Indianer litten darunter sehr; aber sie beklagten sich nicht. Und auch der Bischof blieb bei seinem Entschluß. »Das Trauerspiel dauert also schon fünf Jahre? Wie geht es nun weiter?« Ich hörte es dem Ton der Berichterstattung schon an, die Sache müsse doch noch ein gutes Ende genommen haben. »Der Bischof hat das Interdikt aufgehoben und einen anderen Pfarrer für Isleta bestellt, nämlich mich! Im nächsten Monat übernehme ich mein neues Amt.« – »Und was werden Sie tun?« – »Meine erste Anordnung wird inzwischen schon ausgeführt: die Plaza wird vom Beton befreit!«
(Obs.: der Schluß war ursprünglich als "Santa Fe 4" geplant und wird nun unter diesem Namen gepostet)
Sehr interessant! Vielen Dank für den Bericht!
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