Die Geschichte der Kirche hilft also, einen richtigen Kirchenbegriff auszubilden. Ihr eigentümlichster Beitrag zu dieser Aufgabe liegt darin, daß sie eine falsche Vergeistigung (Spiritualismus) und damit Verflüchtigung der Wirklichkeit ,Kirche‛ verhindert. Sie zeigt vielmehr, (1) daß die Kirche einen Körper hat, sichtbar ist; sie überwindet damit die falsche Trennung zwischen einer sogenannten "idealen" und einer "realen" Kirche , - und führt auch ihrerseits zur Erkenntnis, daß es nur eine Kirche gibt, eben die zugleich göttlich gestiftete und geschichtlich gewachsene, die nur vom Glauben erfaßte unsichtbare und die zugleich konstatierbare sichtbare Kirche; - sie bewahrt (2) vor einer falschen Anschauung von der Heiligkeit der Kirche. Diese Heiligkeit ist eine objektive; sie schließt nicht aus die Sündhaftigkeit der Mitglieder und Führer der Kirche und sie wird durch diese nicht verhindert.
Dadurch wieder weist die Geschichte der Kirche mit Nachdruck hin auf jenen Begriff, ohne den keine umfassende und fruchtbare Erfassung und Deutung der Geschichte überhaupt erreicht werden kann, auf die felix culpa, sie sinnvolle Schuld. Der entscheidende Inhalt dieses Begriffs besagt, daß Irrtum und Schuld geschichtlicher Erscheinungen (Personen, Systeme, Handlungen) nicht dasselbe sind wie geschichtliche Sinnlosigkeit, sondern daß Irrtum und Schuld sehr wohl tiefen Sinn im Heilsplane Gottes einschließen können, und seit der Sünde oft sogar in entscheidendem Umfang tatsächlich einschließen. Dieser Begriff drückt aus die Anerkennung des lebendigen Gottes der Geschichte. Er entspricht Augustins Wort: was in der Zeit geschieht, ist Gottes. Er macht Ernst mit dem christlichen Vorsehungsgedanken. Irrtum bleibt Irrtum, Unkraut Unkraut, Sünde Sünde, und sie sind das verwerfliche Gegenteil den von Gott Verkündeten. Aber Gottes Heilswille regiert die Welt und macht auch das Irren der Menschen seinem heiligen Willen dienstbar.
(Joseph Lortz: Geschichte der Kirche, 1962, Bd. 1, S. 7)
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