"Minimum quod potest haberi de cognitione rerum altissimarum, desiderabilius est quam certissima cognitio, quae habetur de minimis rebus."

"Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge zu gewinnen vermag, ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen"

(Thomas von Aquin: I, 1, 5 ad 1)

8. September 2010

Verletzlichkeit

Es gibt eine Methode, uns vor der maßlosen Liebe zu den Mitmenschen zu schützen, die ich von allem Anfang an verwerfen muß. Ich tue es mit Zittern und Zagen, denn ich bin ihr in den Schriften eines großen Heiligen und Denkers begegnet, dem ich Unschätzbares verdanke.

In Worten, die einem heute noch Tränen in die Augen treiben können, beschreibt der heilige Augustinus die Trostlosigkeit, in die ihn der Tod seines Freundes Nebridius gestürzt hat (Bekenntnisse,IV, 4ff.). Dann zieht er daraus eine Moral. Das kommt davon, sagt er, wenn man das Herz an etwas hängt als an Gott. Alle Menschen sind vergänglich. Hänge dein Glück nicht an etwas, was du verlieren kannst. Wenn Liebe ein Segen und nicht eine Qual sein soll, muß sie sich an den einzigen Geliebten halten, der nie vergehen wird. ….

Ich glaube, diese Stelle der «Bekenntnisse» ist nicht so sehr ein Teil von Augustins Christentum, als ein Überbleibsel der hochgesinnten heidnischen Philosophien, in der er aufwuchs. Sie steht der stoischen «Apathie» oder dem neuplatonischen Mystizismus näher als der christlichen Agape. Wir folgen dem nach, der über Jerusalem und am Grab des Lazarus geweint hat, der zwar alle liebte, aber doch einen «Lieblingsjünger» hatte. Paulus hat für uns mehr Autorität als Augustinus – Paulus verrrät mit keiner Silbe, daß er nicht wie ein Mensch gelitten hatte, oder daß er dachte, er dürfe nicht leiden, wenn Epaphroditus gestorben wäre (Phil. 2, 27).

El Greco - Pietá

Selbst wenn wir der Meinung wären, daß Versicherungen gegen gebrochene Herzen unsere höchste Weisheit sind – bietet Gott selbst sie an? Offenbar nicht. Die letzten Worte Christi waren: «Warum hast du mich verlassen?»

Es gibt keinen Ausweg nach der Manier des Augustinus. Und nach keiner andern Manier. Es gibt keine sichere Anlage. Lieben heißt verletzlich sein. Liebe irgend etwas, und es wird dir bestimmt zu Herzen gehen, oder gar das Herz brechen. Wenn du ganz sicher sein willst, daß deinem Herzen nichts zustößt, dann darfst du es nie verschenken, nicht einmal einem Tier. Umgib es sorgfältig mit Hobbies und kleinen Genüssen; meide alle Verwicklungen; verschließ es sicher im Schrein oder Sarg deiner Selbstsucht. Aber in diesem Schrein –sicher, dunkel, reglos, luftlos – verändert es sich. Es bricht nicht; es wird unzerbrechlich, undurchdringlich, unerlösbar. Die Alternative zum Leiden, oder wenigstens zum Wagnis des Leidens, ist die Verdammung. Es gibt nur einen Ort außer dem Himmel, wo wir vor allen Gefahren und Wirrungen der Liebe vollkommen sicher sind: die Hölle. 
Aus: Was man Liebe nennt von C.S. Lewis, S. 120ff

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